
Liebe Bürgerinnen und Bürger,
Pfingsten ist vorbei und es wurde weder ein Ochse bunt herausgeputzt durchs Dorf getrieben noch kam uns die Erleuchtung durch den heiligen Geist. Wir saßen in trauter Runde alle beisammen und haben 631 persönliche Schreiben an jeden einzelnen unserer Bundestagsabgeordneten unterschrieben, versandfertig gemacht und mit einer netten bunten Briefmarke beklebt. […]
[…] Da uns der heilige Geist beim melancholischen Bearbeiten der Post leider nicht erschienen ist, bleibt nur zu hoffen, dass dieses Schreiben vielleicht genau so märchenhaft wie es die Evangelien über die Erleuchtung der Apostel in ihrer Beschreibung über das Pfingstfest berichten, den Geist des einen oder anderen Volksvertreters ein wenig erhellt, den missionarischen Eifer in ihm erblühen lässt und der Wille reift, von nun an die Welt zum Guten verändern zu wollen.
Scherz beiseite. ☺
Wir würden uns schon freuen, wenn die Kollegen Volksvertreter sich darüber bewusst sind, dass die Versendung dieser Schreiben mit einer Investition verbunden ist, welche sich abgesehen von Zeit und Arbeit auf einen Materialaufwand von 914,94 Euro summiert. Geld, welches weder steuerlich absetzbar ist noch über eine Auslagenaufwandspauschale zurückerstattet wird. Erspartes von einfachen Mitstreitern unserer Initiative, investiert um den einen oder anderen Abgeordneten daran zu erinnern, dass die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes der Souverän sind.
Ja liebe Bürgerinnen und Bürger, wir alle sind mehr als „nur“ das Volk. Souverän leitet sich ab vom lateinischen Wort „superamus“ und bedeutet soviel wie „über allem stehend“.
In einer tatsächlichen Demokratie steht der Souverän über der Regierung, über dem Parlament und auch über der Verfassung, welche jederzeit geändert werden kann.
Unsere Regierung und unser Parlament stellen sich zwischenzeitlich aber immer öfter über den Souverän und handeln im Parteiinteresse, dem Eigenerhaltungstrieb und vor allem im Interesse ausschließlich wirtschaftlich orientierter Lobbygruppen.
Wir als Souverän sehen des Öfteren in die Röhre, was in einem immer stärken Maß zu Politikverdrossenheit, Wahlmüdigkeit und sinkendem Vertrauen in die Demokratie führt.
Das in Deutschland derzeit gelebte Modell der repräsentativen Demokratie, also eines Systems, bei welchem politische Sachentscheidungen nicht unmittelbar durch das Volk selbst, sondern durch Abgeordnete eigenverantwortlich getroffen werden, welche sich als Volksvertreter in bestimmten Zyklen zur Neu- bzw. Wiederwahl stellen, hat ausgedient.
Die Sachentscheidungen, über welche unsere 631 Volkvertreter zwischenzeitlich entscheiden müssen, sind in ihren Inhalten, ihrer Komplexität und in ihren Auswirkungen auf unsere Zukunft und die Zukunft unserer Kinder nicht mehr vergleichbar mit den Anfängen unserer Demokratie.
Die Gefahr, dass die 631 Bundestagsabgeordneten, da auch nur Menschen, überfordert, desinformiert, parteidiszipliniert oder fehlgeleitet sind und falsche Sachentscheidungen treffen, die unser aller Zukunft nachhaltig negativ beeinflussen, ist heute größer denn je!
Aus diesem Grund muss die repräsentative Demokratie dringend – und wir appellieren hier nachdrücklich an die Dringlichkeit – ergänzt werden durch eine bestimmte Form der direkten Demokratie.
Wir brauchen dazu kein Schweizer Modell, um letztendlich über die Löcher im Käse mit entscheiden zu können, und wir müssen die repräsentative Demokratie und das demokratische System unseres Landes nicht generell in Frage stellen.
In diesem Punkt sind wir vielleicht doch erleuchtet worden, nicht vom heiligen Geist und auch nicht zu Pfingsten, aber einige Tage zuvor auf einem Seminar durch den Politikwissenschaftler Prof. Dr. Patzelt.
Herr Patzelt ist nicht der heilige Geist aber er hat einen hellen Geist, was auch nicht schlecht ist. Er schlägt vor, dass alles so bleiben kann wie es ist, außer dass dem Souverän – also uns allen – die Macht gegeben werden sollte, Gesetze, die aus welchen Bewegründen auch immer, vom Volk nicht gewollt sind, wieder abschaffen zu können.
Nicht das Verfassungsgericht hat über das Für und Wider von verabschiedeten Gesetzen zu entscheiden, sondern wir als Volk und Souverän können, wenn wir merken, die Sache, die unsere Volksvertreter per Gesetz festgelegt haben, geht nach hinten los, diese mittels Referendum rückgängig machen.
Im politischen Fachjargon nennt man diese Möglichkeit der direkten Demokratie das „gesetzabschaffende Referendum“.
Die Volksvertreter werden somit nicht bei ihrer Arbeit behindert, können weiter alles zum Wohle des Volkes tun und leben in der Sicherheit, dass wenn doch mal was schief geht, der Souverän eine Möglichkeit hat, diese Schieflage jederzeit aus eigener Kraft zu beseitigen. Wir können die Karre also notfalls selbst aus dem Dreck ziehen, ohne Barrikaden errichten zu müssen, und der Volksvertreter muss im Fall der Fälle lediglich darum bangen, keine Wiederwahl zu finden, braucht aber keine Angst zu haben, irgendwann für seine Taten zum Teufel geschickt zu werden.
Ja und alle können wieder ein wenig ruhiger schlafen in Sachen Zukunft und Politik.
Wer interessiert ist – und wir können hierzu nur immer und immer wieder betonen, ein bisschen politische Bildung muss leider sein, sonst bedarf es auch keiner Demokratie – liest sich das eingestellte Schreiben an die Bundestagsabgeordneten kurz durch.
Dort sind die Vorstellungen und Vorschläge rhetorisch etwas hochtrabender und ganz an die Etikette des Parlamentes angepasst niedergeschrieben.
Die Damen und Herren Abgeordneten sind aufgefordert, bis zum 16.06.2015 zu erklären, wie es mit ihrem Demokratieverständnis aussieht. Allein der Anstand würde es gebieten zu antworten, da jeder Abgeordnete zumindest an der bunten Briefmarke erkennen kann, dass uns die Sache Geld gekostet hat und es doch weit aus schönere Möglichkeiten gibt, 914 Euro und ein paar Zerquetschte unters Volk zu bringen.
Danke fürs Lesen.
Bis zum nächsten Mal
Ihr Reiko Beil
P.S.
Fast vergessen: Auf der Unterseite Abgeordnetenanfrage ist jeder Abgeordnete, auch unsere Frau Bundeskanzlerin, tabellarisch erfasst. Der gesamte Schriftwechsel kann dort über eine Suchmaske abgerufen werden. Ab morgen tickt die Antwortuhr. Man darf gespannt sein.
Also bis bald – man hört und liest sich.
Dresden, den 26.05.2015
Werter Herr Beil,
Ihre Bemühungen, mit den Volksvertretern des Bundestages in einen Dialog zu treten,habe ich mit Interesse vefolgt und habe auch die meisten Antworten gelesen . Der Tenor bei der CDU: Nein,aber auch bei der SPD ähnlich. Die Linken verweisen auf ihr Parteiprogramm, in dem sie direkte Demokratie fordern. Sie sind nicht in Regierungsverantwortung und mittlerweilen glaube ich, sie würden nur Bürgerentscheide zulassen,die ihren Auffassungen entsprechen.
Nun las ich in der heutigen Ausgabe der SZ auf Seite 2, dass der SPD- Innenpolitiker Burkhard Lischka die Möglichkeit von Volksentscheiden auf Bundesebene im Grundgesetz verankert sehen möchte. …
Ist das schon Wahlkampfgeplänkel, weil er weiß, mit der CDU ist das nicht durchsetzbar und will er sich so als Volkspartei empfehlen?
Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber ich glaube nicht, dass ich es noch erlebe,dass das Volk tatsächlich gefragt wird.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Weihnachtsfest und für 2016 viel Kraft auf Ihrem Weg.
Ihre Monika Klausch