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Antwort Bettina Kudla (MdB/CDU) - Gesetzesabschaffendes Referendum
Antwort Bettina Kudla (MdB/CDU) – Gesetzesabschaffendes Referendum – Foto: © Sven Teschke/Lizenziert: CC BY-SA 3.0 de über Wikimedia Commons

Gesetzesabschaffendes Referendum

Abgeordnetenanfrage – persönlicher Brief

Sehr geehrter Herr Beil,

vielen Dank für Ihr Schreiben vom 27. Mai 2015. Sich für Bürgerbelange einzusetzen ist immer lobenswert und ein gutes Zeichen für unsere Demokratie.
Jedoch hat in unserer repräsentativen Demokratie auch das Parlament eine tragende Rolle, […]

[…] welche durch die gewählten Abgeordneten legitimiert wird. Die gesetzgeberische Funktion im Zuge der Gewaltenteilung ist damit dem Parlament zu zuordnen. […]

Mit freundlichen Grüßen

Bettina Kudla, MdB

Antwort Bettina Kudla (MdB/CDU) - Gesetzesabschaffendes Referendum
Antwort Bettina Kudla (MdB/CDU) – Gesetzesabschaffendes Referendum

dialog-2015 an Bettina Kudla (MdB/CDU) – Gesetzesabschaffendes Referendum

Sehr geehrte Frau Kudla,

vielen Dank für Ihre Rückantwort,auf welche wir uns erlauben noch einmal einzugehen.

Ihr Verweis auf Artikel 21 des Grundgesetzes verfehlt leider das Ziel unseres Bestrebens, einer Erweiterung des repräsentativen Demokratiegefüges mit plebiszitären Elementen, zur Eindämmung der Politik- und Wahlverdrossenheit und einer Schließung des Grabens zwischen Politik und Bürgern.
Der Artikel 21 betrifft nur die Parteien im Sinne des Parteiengesetzes und regelt deren politisches Monopol und deren Allmacht in der Bundesrepublik Deutschland. Ob die Verfassungsväter des Grundgesetzes den Parteien wirklich die zentrale Rolle zuweisen wollten, welche daraus abgeleitet wird, darf grundsätzlich bezweifelt werden. Der Verwaltungswissenschaftler von Arnim kommt in einer gutachterlichen Stellungnahe in Verbindung mit dem Artikel 21 des Grundgesetzes beispielsweise zu dem Schluss:

[…] Die Bürger haben keine Möglichkeit, wirklich ihre Meinung kundzutun; sie werden eher entmündigt. An ihre Stelle sind die politischen Parteien getreten, die aber ihre Funktion als Sprachrohre des Volkes nicht erfüllen. Sie wirken nicht an der politischen Willensbildung mit, sondern beherrschen sie weitgehend und unterlaufen die Gewaltenteilung […]

Der Artikel 21 des Grundgesetzes trägt zur Lösung des Problems der Politik- und Wahlverdrossenheit entsprechend wenig bei und ist aus unserer Sicht eher als schuldhafter Bestandteil der gefühlten Misere anzusehen.
Zu Ihren weiteren Ausführungen erlauben wir uns darzulegen, dass genau auf dieser Ihrer Annahme der Vorschlag des gesetzabschaffenden Referendums basiert, welcher die repräsentative Demokratie nicht in Frage stellt und das Arbeitsteilungsgefüge der Gesellschaft nicht tangiert.
Der Ansatz für ein gesetzabschaffenden Referendums liegt darin begründet, dass Politik dem Bürger nicht mehr verständlich erklärt wird. Wegen der fehlenden Erklärungen, warum politische Entscheidungen getroffen werden, welche Vor- oder Nachteile sich daraus ergeben können und in welche Richtung sich unser Land bewegt, resigniert ein Großteil der Bevölkerung mit dem Argument, „…Die da oben machen doch ohnehin, was sie wollen, und wir hier unten können daran sowieso nichts ändern…“.
Die Politiker wiederum zeigen sich über ein derartiges Bürgerverhalten verwundert, verärgert und oft auch beleidigt, da diese der Meinung sind, tagtäglich alles zum Wohl des Volkes zu tun.
Letztgenanntes ist gefühlt auch zutreffend, aber eine Abgeordneteninternetseite, diverse monatliche Bürgersprechstunden und vereinzelte öffentliche Auftritte reichen nicht aus, um dem Volk Politik und deren Ziele erklärbar zu machen.
Die Abgeordneten des Bundestages werden an dieser Stelle natürlich auch allein gelassen, da unsere Medien hier zwischenzeitlich kollektiv versagen. Vor allem der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten, in diesem Zusammenhang entsprechend zu agieren, wird leider nicht erfüllt. Die Lücke oder besser definiert der Graben zwischen Volk und Politik ist zwischenzeitlich so groß, dass Journalisten und Medien auch gar nicht mehr in der Lage sind, diesen zu schließen.
Politik vermittelt spätestens seit Beginn der Finanz- und Weltwirtschaftskrise im Jahr 2008 den Eindruck einer Hetzjagd und einer Hochhausbaustelle, deren Architekten und Statiker das Handtuch geworfen haben, aber trotzdem mit Hochdruck weiter Etage auf Etage gebaut wird, in der Hoffnung, das Bauwerk kippt nicht um. Dieser Eindruck führt zusammen mit einem gewaltigen Informationsdefizit zu dieser für Politiker nicht begreifbaren Unzufriedenheit der Bürger, welche ersatzweise auch Politikverdrossenheit genannt wird.
Fragt man die Bürgerinnen und Bürger, warum sie unzufrieden sind, bekommt man allerdings in den wenigsten Fällen eine Antwort. Oftmals sind es kleinkarierte Probleme, die eigentlich nichts mit der großen Politik zu tun haben, oder Scheinprobleme, die vom Hören und Sagen anderer herrühren. Aber, was fast jeder aus dem bürgerlichen Lager bestätigt, die Angst vor der Zukunft ist allgegenwärtig. Angst davor, dass unsere politischen Akteure Fehler machen und Politik nur noch für einige wenige gemacht wird und am Volk vorbei läuft.
Ja und dort liegt das eigentliche Problem. Diese Angst basiert darauf, dass dem Volk nichts mehr erklärt wird. Der Souverän hat seit Jahren das Gefühl, stetig vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden.
Unsere repräsentative Demokratie ist an dieser Stelle ernsthaft gefährdet und die Politik ist gefordert, hier dringend gegenzusteuern.
Die demokratischen Werte in diesem unserem Land sind gefährdet und können nur erhalten werden, wenn man die Bürgerinnen und Bürger politisch direktdemokratisch einbindet.
Eine Einbindung nach dem Schweizer Vorbild, darüber besteht Einigkeit, ist nicht umsetzbar. Fest steht auch, dass wie bereits erwähnt, die Strukturen der repräsentativen Demokratie, welche unserem Land in den letzten 60 Jahren zu Wohlstand und dauerhaften Frieden verholfen hat, alternativlos sind und hier entsprechend auch keine Veränderungen, sondern lediglich Anpassungen, durchgeführt werden müssen.
Was dringend angepasst werden muss, ist erstens der wechselseitige (!) Informationsfluss zwischen Volk und Politik.
Zweitens muss auf Grund der Tatsache, dass es immer mehr Berufspolitiker mit fehlenden alltagsberuflichen und basisorientierten Erfahrungen im Parlament gibt, politische Entscheidungen aber immer kompakter und unkalkulierbarer werden, zusätzlich ein „Sicherungsventil“ in die Gesetz Mechanismen eingebaut werden, welches eine Korrektur etwaiger Fehlentscheidungen ohne parteipolitisches und parlamentarisches Planspiel zulässt.
Beide Positionen würde ein gesetzabschaffendes Referendum ohne Probleme in sich vereinen.
Versteht das Volk bestimmte Entscheidungen nicht, kommt es zum Begehren. Das Begehren ist dann ein Alarmzeichen an die Politik, in Sachen Erklärungsnotstand oder Nachbesserungsbedarf dringend zu handeln. Versagt die Politik an dieser Stelle oder wurde, was eher die Ausnahme (!) sein wird, tatsächlich ein Gesetz oder Rechtsgut verabschiedet, welches dem Volk so stark schadet, dass eine Begehren das hohe Quorum erfüllt, muss die Konsequenz eines Referendums in Kauf genommen werden.
Da vor einem derartigen Referendum, wie bereits aufgeführt, aber immer ein Volksbegehren mit einer entsprechend langen Vorlaufzeit und einem hohen Quorum steht, verschafft die Dauer des Begehrens den politisch Handelnden ein absichtlich gewolltes Zeitfenster. Diese Zeit muss durch die Politikerinnen und Politiker unseres Landes für den Fall eines Begehrens, bei welchem sich tatsächlich das Zustandekommen eines Referendums abzeichnet, unter anderem dafür genutzt werden, den Souverän grundsätzlich über die etwaige Folgen einer etwaigen Gesetzabschaffung aufzuklären.
Die Politik kann so versuchen, Informationslücken, welche möglicherweise zu einem fehlenden oder gar falschen Verständnis der politischen Entscheidungen und somit zu einem Begehren geführt haben, gegenüber dem Souverän zu schließen, oder mit einem modifizierten Handeln den Versuch unternehmen, dem Willen des Volkes entgegenzuwirken, um das Erreichen des Quorums und folglich das Zustandekommen eines Referendums zu vermeiden.
Damit schließt sich automatisch auch der zwischenzeitliche überall feststellbare Graben zwischen Politik und Bürgern.
Wir hatten gegenüber Ihren Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Fraktionen bereits mehrfach dargelegt, dass es nach unserer Auffassung in den wenigsten Fällen tatsächlich zu einem gesetzabschaffenden Referendum kommen wird, da spätestens mit dem Aufleben eines Volksbegehrens, das ein gesetztes Quorum erreichen könnte, das politische Gegensteuern beginnt.
Beide Seiten, also Volk und Politik, würden sich durch die Erweiterung unserer repräsentativen Demokratie mit der Möglichkeit gesetzabschaffender Referenden wieder annähern und vor allem disziplinieren.
Am 24.06.2015 wurde Herr Prof. Dr. Patzelt in einer öffentlichen Anhörung des Verfassungs- und Rechtsausschusses des Sächsischen Landtages in Verbindung mit dem durch LINKE und GRÜNE eingebrachten Gesetzentwurf „Gesetz zur Stärkung der direkten Demokratie im Freistaat Sachsen“ als Gutachter angehört.

Herr Prof. Dr. Patzelt ist, wie wir in unserer Bürgeranfrage aufgeführt haben, der wissenschaftliche Verfechter eines gesetzabschaffenden Referendums. Mit seiner ausdrücklichen Erlaubnis geben wir nachfolgend einen Ausschnitt seiner gutachterlichen Ausführungen vor dem Landtagsausschuss am 24.06.2015 wie folgt wieder:

[…] Einführung des gesetzesaufhebenden Referendums.

a) Es ist entspricht nicht nur dem Rang des Volkes als gleichberechtigtem Gesetzgeber, sondern ist auch um der Demokratie willen wünschenswert, ein gesetzesaufhebendes Referendum einzuführen.

  • Erstens erschwert das gesetzesaufhebende Referendum sogar einer im Parlament übermächtigen Regierungsmehrheit das „Durchregieren“ gegen Wünsche des Volkes, die sich in einer Abstimmungsmehrheit ausdrücken. Das minderte in demokratieförderlicher Weise jene „Arroganz der Macht“, die sich immer wieder – vor allem: nach Regierungswechseln – einzustellen pflegt.
  • Zweitens zwingt die Möglichkeit eines gesetzesaufhebenden Referendums die Opposition politisch immer wieder zum Nachweis von Behauptungen dahingehend, die Regierungsmehrheit stelle sich mit einem bestimmten Gesetzgebungsvorhaben in einen Gegensatz zur Bevölkerung. Das erlegt auch der Opposition einen gewissen Realitätsdruck auf, weil auch sie damit rechnen muss, sich bei einem gesetzesaufhebenden Referendum nicht durchsetzen zu können.
  • Drittens eröffnet das gesetzesaufhebende Referendum einen weiteren Weg, einen im Parlament verlorenen politischen Konflikt neu auszufechten.
    Bislang ist die Opposition darauf angewiesen, politisch Abgelehntes zum verfassungsrechtlichen Streitgegenstand zu machen. Wer aber ein Gesetz vor das Verfassungsgericht bringt, erntet Verfassungsrechtsprechung, die im Lauf der Zeit die parlamentarischen Gestaltungsspielräume immer mehr einengt. Ferner wirken abstrakte Normenkontrollverfahren auf viele Bürger so, als wolle ein Teil der politischen Klasse sehenden Auges die Verfassung brechen. Beides tut repräsentativer Demokratie nicht gut.
    Das gesetzesaufhebende Referendum hingegen brächte – um den Preis eines einzugehenden politischen Risikos – einen im Parlament verlorenen politischen Konflikt vor das Volk als alternativen Gesetzgeber. Das entspräche voll dem Grundsatz der repräsentativen Demokratie, wonach das Parlament das erste Wort haben muss, das Volk aber das Recht auf das letzte Wort hat.

b) Nicht der Stärkung direkter Demokratie dient es allerdings, wenn ein gesetzesaufhebendes Referendum nicht vom Volk selbst herbeigeführt werden kann.

  • Auf diese Weise wird das Volk – obschon doch gleichberechtigter Gesetzgeber – einfach zum „Mündel des Parlaments“ gemacht. Es darf laut vorliegendem Gesetzentwurf durch einen Volksantrag nur darum bitten, das Parlament möge über die Änderung oder Aufhebung eines Gesetzes debattieren, hat aber keine Möglichkeit, die Entscheidung über das Inkrafttreten eines Gesetzes selbst herbeizuführen.
  • Ferner wird gerade der zentrale Vorteil direktdemokratischer Instrumente nicht erreicht, wenn es Abgeordneten anvertraut ist, ein gesetzesaufhebendes Referendum herbeizuführen. Der Demokratie willen herbeizuführen ist nämlich solche politische Kommunikation, die sich in der Zivilgesellschaft im Streit um eine reale Entscheidungsfrage entwickelt. Genau zu diesem Zweck müssen direktdemokratische Instrumente so ausgestaltet sein, dass die Diskussion um ihre Nutzung in erster Linie im Volk geführt wird – und nicht vor allem in den Reihen der politischen Klasse.
  • Genau letzteres wäre aber der Fall, wenn die vergleichsweise wenigen Abgeordneten von ein, zwei (Oppositions-) Fraktionen untereinander zur Vereinbarung kämen, es solle ein gesetzesaufhebendes Referendum durchgeführt werden. Deshalb ist eine solche Herbeiführung des gesetzesaufhebenden Referendums abzulehnen.

c) Besser wäre eine Regelung der folgenden Art:

  • Ein gesetzesaufhebendes Referendum kann nie vom Parlament, sondern nur vom Volk herbeigeführt werden, und zwar durch Volksantrag auf Durchführung eines gesetzesaufhebenden Referendums. Das erweiterte im Grunde nur die im Gesetzentwurf ohnehin vorgesehenen Inhalte von Volksanträgen.
  • Für diesen Volksantrag wäre ein Prozentsatz der Abstimmungsberechtigten zwischen einem Prozent (wie für den normalen Volksantrag vorgesehen) und fünf Prozent (wie für einen Volksentscheid im Volkgesetzgebungsverfahren verlangt) festzulegen
  • Dieser Prozentsatz sollte so angesetzt werden, dass zwar gesetzesaufhebende Volksabstimmungen praktisch herbeiführbar sind, diese Hürde aber einen inflationären und die Gesetzgebungstätigkeit lähmenden Gebrauch dieses direktdemokratischen Instruments ausschlösse.
  • Es ist erforderlich, in der Verfassung eine Frist für die Sammlung der erforderlichen Unterschriften festzulegen. Es böten sich 100 Tage an […]

Da unsere Bürgerinitiative vorerst einen grundsätzlichen Dialog mit den Bundestagsabgeordneten sucht und bestrebt ist, bisherig eingenommen Positionen einer Überdenkung zuzuführen, bitten wir Sie, sich die Zeit zur nochmaligen Überarbeitung unseres Grundanliegens zu nehmen.
Ihr Fraktionskollege Arnold Vaatz, MdB hat den Vorschlag unserer Initiative aufgenommen und sich bereit erklärt, nach notwendiger Zuarbeit, welche wir hoffen bis 20.07.2015 liefern zu können, dass aufgeworfenen Thema Fraktionsintern einer Diskussion zuzuführen.
Wir würden uns freuen, wenn Sie sich in Folge trotz Ihrer Aktivitäten in anderen Zuständigkeitsbereichen in dieses für unsere Demokratie wichtige Thema mit einbringen können.

Vorerst verbleiben wir in positiver Erwartung

Mit freundlichen Grüßen

Reiko Beil
Initiative Dialog-2015

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Link zum Beitrag:

Quelle: dialog-2015 vom 29.06.2015


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