
Gesetzesabschaffendes Referendum
Abgeordnetenanfrage – persönlicher Brief
Sehr geehrter Herr Beil,
[…] vielen Dank für Ihr Fax vom 27. Mai 2015 und Ihr Schreiben vom 22.6.2015, mit dem Sie an die Beantwortung des Schreibens erinnern. Entschuldigen Sie, dass die Beantwortung Ihres Schreibens länger in Anspruch genommen hat.
Die Idee des „Gesetzesabschaffenden Referendums“ ist eine spannende Idee. […]
[…] Nach Abwägung bin ich jedoch der Meinung, wir sollten dieses plebiszitäre Element nicht einführen.
Dafür sind folgende Überlegungen für mich maßgeblich:
- Unpopuläre aber notwendige Gesetze, die mit finanziellen Lasten verbunden sind, würden umgehend durch ein Referendum „gekippt“ werden (gutes Beispiel für die Probleme diesbezüglich ist das jüngste Plebiszit der Griechen, die NEIN zu den Sparvorschlägen der Europäischen Geldgeber gesagt haben, Griechenland damit an den Rand der Staatspleite geführt und die Situation verschärft haben)
- das Gesetzgebungsverfahren des Grundgesetzes ist sehr komplex und differenziert. Es ist „lernend“. Durch drei Lesungen, Ausschussberatungen, Sachverständigenanhörungen und Berichterstatter-Gespräche wird eine ausgewogene und faire Gesetzesfindung sichergestellt. Kein Gesetzentwurf kommt so aus dem Verfahren heraus wie er hereingekommen ist. Die einfache Ja/Nein-Entscheidung des Referendums wird dieser Komplexität nicht gerecht. Das Produkt dieses aufwändigen Verfahrens durch ein einfaches Votum von 2,5 % „umzuschmeißen“, fördert m.E. Verdrossenheit mehr als das es Teilhabe an demokratischen Prozessen fördert.
- für Bürger gibt es bereits die Möglichkeit, die Gültigkeit eines Gesetzes zu überprüfen: Jeder Bürger kann eine Petition an den Deutschen Bundestag stellen.
Ich halte die Idee daher nicht für zielführend.
Viele Grüße aus Hagen nach Dresden
Ihre
Cemile Giousouf, MdB

dialog-2015 an Cemile Giousouf (MdB/CDU) – Gesetzesabschaffendes Referendum
Sehr geehrte Frau Giousouf,
vielen Dank für Ihre Rückmeldung, auf welche wir uns erlauben kurz einzugehen.
Das von Ihnen thematisierte Griechenland Referendum zeigt deutlich, dass Initiativen oder Referenden immer aus der Mitte oder auf Antrag des Volkes zum Ansatz kommen müssen. Im Fall des griechischen Referendums, welches aus unserer Sicht jeglicher demokratischer Grundlage entbehrte, hat Herr Tsipras verantwortungslos und feige sein Volk von oben nach unten über etwas abstimmen lassen, von dem ein Großteil der stimmberechtigten Bürger nicht einmal wusste, über was inhaltlich abgestimmt wird. Schon die Fragestellung auf dem Stimmzettel, war für viele Bürger nicht verständlich. Herr Tsipras hat sein Volk ungeniert aufgefordert mit Nein zu stimmen und das Nein auf dem Stimmzettel stand an oberster Stelle. Das war kein Einbindung plebiszitärer Elemente in demokratische Strukturen, dass war diktatorischer Demokratie bzw. ein großes Schauspiel mit bedeutungslosen Ausgang. Im großen und ganzen eine Frechheit in den Augen eines jeden Demokraten, was Herr Tsipras da abgeliefert hat und als Vergleich mit unserem Thema somit eher ungeeignet.
Zu unserem Anliegen bleibt festzuhalten, dass auf Grundlage des Grundgesetzes seitens des Bundesvolkes durch Wahlen und Abstimmungen die öffentliche Gewalt lediglich personell in Form seiner Volksvertreter wählbar ist, welche dann alleinig im Volksauftrag über den gesamten Zeitraum der Legislaturperiode alle Sachentscheidungen treffen. Das Resultat dieser parlamentarischen Arbeit der gewählten Volksvertreter, geht in den letzten Jahren nicht mehr konform mit dem Verstehen des Bundesvolkes.
Wir geben Ihnen Recht, dass es zum Wesen der repräsentativen Demokratie gehört, welche in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten 65 Jahre einen festen Bestand hat, dass die unterschiedlichen Sachthemengebiete in zugehörigen Parlamentsausschüssen und Gremien von Fachleuten vor einer parlamentarischen Verabschiedung beraten werden. Sie bezeichnen diesen Prozess als lernend. Allerdings wird das Bundesvolk in diesen parlamentarischen sachthemenbezogenen Findungsprozess nur mangelhaft eingebunden, woraus sich ein immer größer werdender Identifikationsverlust mit den in Folge getroffenen Sachentscheidungen ergibt. Der Bürger hat das Gefühl, dass Gemeinschaftsaufgaben dem Eigeninteresse der Parteien zum Opfer fallen sowie Macht und Geld im Vordergrund stehen und nicht das Wohlergehen des Staates und der Wähler. Da im Zuge getroffener parlamentarisch politischen Sachentscheidungen dem Wahlvolk nicht mehr verständlich erklärt wird, welche Vor- oder Nachteile sich hieraus ergeben und in welche Richtung sich der Staat bewegt, resigniert ein Großteil des Bundesvolkes mit dem Argument, “…Die da oben machen doch ohnehin, was sie wollen, und wir hier unten können daran sowieso nichts ändern…”. Das wiederum führt zu einer zunehmenden Politik- und Wahlverdrossenheit, welche in politischen Kreisen auch als mangelnde politische Bildung bezeichnet wird und gipfelt in zunehmenden Zukunfts- und Existenzängsten. Dieser fortschreitende und sich durch alle Bevölkerungsschichten ausbreitende Prozess von Resignation und Angst gefährdet die Demokratie, vernichtet die damit verbundenen Wertvorstellungen und stellt die politische Ordnung der Bundesrepublik Deutschland schrittweise in Frage.
Skeptisch sehen wir vor allem, wenn Sie darauf abstellen, dass staatliche Planung in Form von Gesetzen, den Weg der etablierten Rechtsförmlichkeit, unter Verweis auf die Komplexität, nicht verlassen darf. Dieser Argumentation halten wir entgegen, dass es sich aus unserer Sicht bei Gesetzen nicht um eine juristische Materie handelt, auf welche sich eine etwaige Bürgerbeteiligung generell nachteilig auswirkt. Diese Auffassung ähnelt zu sehr dem Leitgedanken einer Obrigkeitsstaatlichkeit in der Form, dass ein Recht zu Gemeinwohl alleinig durch Juristenhand entsteht. Demokratie bleibt aus unserer Sicht so nicht lebendig und läuft Gefahr, nach dieser Denkweise seine Legitimitätsgrundlage schrittweise zu verlieren.
Der Artikel 17 des Grundgesetzes, auf welchen Sie in Zusammenhang mit Petitionen indirekt verwiesen haben, löst das vorgenannte Grundproblem leider auch nicht. Der Petitionsausschuss des Bundestages, welcher auf parlamentarischer Ebene auch als Seismograf des Parlamentes definiert wird und sich selbst wie in der Einführung des Jahresberichtes 2014 ersichtlich ist, als Abteilung Controlling des Unternehmens Deutscher Bundestag bezeichnet, stellt in diesem Bericht unter anderem folgendes klar: „…Trotz dieser beeindruckenden Zahlen besteht der Kernbereich unserer Arbeit aber nach wie vor in der Suche nach Abhilfe in höchstpersönlichen Notlagen, wie beispielsweise die Erteilung eines Visums oder die Finanzierung eines Rollstuhls. Denn dies sind für den Einzelnen existenzielle Probleme, für deren Lösung sich der Petitionsausschuss mit ganzer Kraft einsetzt. (…) Durch das Gewaltenteilungsprinzip unserer Verfassung sind unserer Arbeit aber auch gewisse Grenzen gesetzt, denn der Petitionsausschuss kann die Bundesregierung zwar auffordern, dem Anliegen von Petitionen zu entsprechen; zu einem positiven Handeln kann er sie jedoch nicht zwingen…“ Petition sind somit leider kein wirksames Instrument unser repräsentatives Demokratiegefüge dem aktuellen Zeitgeschehen anzupassen.
Der die repräsentative Demokratie der Bundesrepublik Deutschland gefährdende Prozess einer vehement zunehmenden Politik- und Wahlverdrossenheit und die damit verbundene Resignation des Bundesvolkes kann nur durch die Einbindung plebiszitärer Elementen gestoppt und einer Umkehrung unterzogen werden. Beide Seiten, also Volk und Politik, könnten sich durch die Erweiterung unserer repräsentativen Demokratie mit plebiszitären Elementen wieder annähern. Der zwischenzeitlich in fast allen Bereichen unserer Gesellschaft feststellbare Graben zwischen Politik und Bürgern würde sich so wieder anfangen zu schließen. Sobald es üblich wäre, dass die Bürger auch während der Legislaturperiode folgenreiche Sachentscheidung zu treffen haben und nicht nur alle paar Jahre Prokura für das Regierungsgeschäft erteilen, würden praktische politische Bildungswirkungen garantiert nicht ausbleiben, was im Umkehrschluss der als steril erregten politischen Kultur entsprechend gut täte.
Selbstverständlich sind verfassungsrechtliche Grenzen bei der Mitbestimmung des Bundesvolkes zu setzen und die Benachteiligung von Minderheiten ist durch Korrekturmöglichkeiten sowie ein integriertes mehrheitliches Abhilfebegehren auszuschließen. Auch die Hürde des von Ihnen angesprochenen Quorums ist in vielerlei Hinsicht noch einmal zu überdenken, um einerseits zu gewährleisten, dass Initiativen und Referenden herbeiführbar bleiben, aber andererseits ein inflationärer und die Demokratie lähmender Gebrauch dieser direktdemokratischen Instrumente grundsätzlich vermieden wird.
In Anbindung an die bisherige Korrespondenz mit Ihren Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen und den daraus resultierenden Meinungen, Anregungen und Kritiken, werden wir den unterbreiteten Vorschlag zu unserer Bürgeranfrage vom 27.05.2015 entsprechend modifizieren und voraussichtlich bis zum Ende des Monats einen Gesetzentwurf zur Ermöglichung eines zweistufigen Volksgesetzgebungsverfahren aus der Mitte des Volkes und eines fakultativen Referendums auf Antrag des Volkes nebst entsprechender Kommentierung und rechtlicher Beurteilung zur Vorlage bringen. Die entsprechenden Unterlagen werden in Folge nochmalig an alle Bundestagsabgeordneten in der Hoffnung übermittelt, auf deren Grundlage nach der Parlamentspause eine fundierte Diskussion anregen zu können.
Ihr Fraktionskollege Arnold Vaatz, MdB, ist von dem bisherig eingebrachten Vorschlag unserer Initiative angetan und hat zugesagt, nach dem Vorliegen und einer Sichtung der vorgenannten Unterlagen, die Thematik einer Erweiterung des repräsentativen Demokratiegefüges mit plebiszitären Elementen auf Bundesebene, einer gesonderten Fraktionsdiskussion zuzuführen.
Bleibt zum Schluss festzuhalten, dass es erfreulich wäre, wenn Sie sich in Folge aktiv in eine themenbezogene Debatte einbringen.
Wir bedanken uns hierfür im Voraus und verbleiben
Mit freundlichen Grüßen
Reiko Beil
Initiative Dialog-2015

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Quelle: dialog-2015 vom 21.07.2015