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Antwort Dr. Günter Krings (MdB/CDU) - Gesetzesabschaffendes Referendum
Antwort Dr. Günter Krings (MdB/CDU) – Gesetzesabschaffendes Referendum – Foto: © Martin Kraft/Lizenziert: CC-by-sa 4.0 über Wikimedia Commons

Gesetzesabschaffendes Referendum

Abgeordnetenanfrage – persönlicher Brief

Sehr geehrter Herr Beil,

haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage.
Gerne bin ich bereit zu der Idee eines gesetzabschaffenden Referendums Stellung zu nehmen.
In unserer repräsentativen Demokratie werden die Gesetze durch die vom Volk gewählten Vertreter verabschiedet. Zwar sind auch Abstimmungen durch das Volk grundsätzlich vorgesehen (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG), sie sind jedoch vom Grundgesetz – mit Ausnahme einiger Fragen, die die Veränderung der Ländereinteilung im Bund betreffen – nicht weiter zugelassen. […]

[…] Da das Gesetzgebungsverfahren in den Art. 76 ff. GG abschließend geregelt ist, ist für die Einführung eines gesetzabschaffenden Referendums zunächst eine Grundgesetzänderung und damit eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag erforderlich.
Abgesehen von dieser wohl nicht einfach zu überwindenden Hürde, birgt ein gesetzabschaffendes Referendum Gefahren für unsere Rechtsordnung. Unsere Gesetze sind Teil eines ausdifferenzierten Regelungssystems, welches bei Wegfall einer einzelnen Regelung Lücken aufweisen kann, die viel komplexere Antworten als ein einfaches „JA“ oder „NEIN“ erfordern würden.
Außerdem birgt ein gesetzabschaffendes Referendum Gefahren im Hinblick auf populistische Effekte. Da die direkte Demokratie bei den Bürgern ein hohes Maß an politischem Engagement voraussetzt, besteht auch bei einem gesetzabschaffenden Referendum die Gefahr, dass populistische Minderheiten die eigentliche Mehrheit bestimmen. Plebiszite wären aus meiner Sicht allenfalls diskutabel, wenn sie entsprechend hohe Quoren vorsehen, um die Mehrheit gegen eine aktivistische Minderheit zu schützen. Sie nennen den Vorschlag von Prof. Dr. Patzelt. Dieser bietet allein mit einem Eingangsquorum von 2,5 % ohne weiteres Beteiligungsquorum einen solchen Schutz ganz offensichtlich nicht. Die Erfahrungen aus mehreren Jahrzehnten direktdemokratischer Elemente auf Länderebene zeigen aber auch, dass die Beibehaltung hoher Quoren leider unrealistisch ist. Das Scheitern von stark medial begleiteten Volksabstimmungen an einem Quorum erhöht sofort den Druck, diese Quoren abzusenken, damit die angeblich demokratische Mehrheitsentscheidung tatsächlich auch politisch respektiert werde.
Deshalb bieten die Parteien das beste Forum für eine verstärkte demokratische Partizipation. Sie werden von der Verfassung besonders hochgehalten und bieten in Deutschland große Mitwirkungsmöglichkeiten auch außerhalb von Wahlen für all diejenigen Bürger, die sich intensiver und öfter in politische Entscheidungsprozesse einbringen wollen. Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt auch, dass unser Parteiensystem keinesfalls eine geschlossene Veranstaltung ist, denn Neugründungen gab es in den letzten Jahren zuhauf und sie waren nicht selten auch bei Wahlen erfolgreich.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Günter Krings, MdB

Antwort von dialog-2015 an Dr. Günter Krings (MdB/CDU) - Gesetzesabschaffendes Referendum
Antwort Dr. Günter Krings (MdB/CDU) – Gesetzesabschaffendes Referendum

dialog-2015 an Dr. Günter Krings (MdB/CDU) – Gesetzesabschaffendes Referendum

Sehr geehrter Herr Dr. Günter Krings,

vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort.

Wir erlauben uns, auf einige der von Ihnen aufgeführten Positionen wie folgt einzugehen:

Komplexität
Ihrer Argumentation treten wir dahingehend entgegen, dass es sich aus unserer Sicht bei Gesetzen nicht um eine juristische Materie handelt, auf welche sich eine etwaige Bürgerbeteiligung generell nachteilig auswirkt. Diese Auffassung tangiert zu sehr den Leitgedanken einer Obrigkeitsstaatlichkeit in der Form, dass ein Recht zu Gemeinwohl alleinig durch Juristenhand entsteht. Es sollte hierbei beachtet werden, dass der Rechtsstaat allein, Demokratie nicht lebendig machen kann und Gefahr läuft, nach dieser Denkweise seine Legitimitätsgrundlage schrittweise zu verlieren. Wir sehen eine akute Gefahr für unsere demokratischen Werte, wenn darauf abgestellt wird, dass staatliche Planung in Form von Gesetzen, den Weg der etablierten Rechtsförmlichkeit, unter Verweis auf die Komplexität, nicht verlassen darf.
Die von Ihnen als Problem mit unserem Vorschlag gesehene Benachteiligung von Minderheiten, kann durch eingeräumte zeitlich befristete Korrekturmöglichkeiten des streitbaren Gesetzes und ein integriertes mehrheitliches Abhilfebegehren ausgegrenzt werden.
Die Höhe des vorgeschlagenen Quorum ist streitbar und ein nochmalig genau zu überlegender Punkt. Entsprechend wären hier bei einer Vertiefung der Thematik, gutachterliche Stellungsnahmen unbedingt einzuholen und die Erfahrungen von Begehren auf Länderebene nochmalig differenziert auszuwerten. Bei der Ansetzung eines Prozentsatzes für ein Quorum muss jedoch beachtet werden, dass einerseits Volksbegehren herbeiführbar bleiben müssen und andererseits die gesetzte Hürde einen inflationären und die Gesetzgebung lähmenden Gebrauch dieses direktdemokratischen Instruments grundsätzlich ausschließen muss. Wir sehen bei einer entsprechend fachlichen Überarbeitung eine Lösung grundsätzlich herbeiführbar.

Populismus
Der Fingerzeig auf einen durch Referenden erstarkenden Populismus, in Verbindung mit der Erweiterung plebiszitären Instrumenten in unserem repräsentativen Demokratiegefüge, stellt für uns eine „Alibiangst“ dar. Darstellungen eines aufblühenden Populismus im Zusammenhang mit Volksentscheiden, vor allem unter Verweis auf Ausschnitte unserer Geschichte, wie es von manchen Ihrer Kollegen mit Fingerzeig auf die Weimarer Republik gern zelebriert wird, sind kein haltbares Argument. Wir leben nicht mehr in den 20iger und 30iger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Unser Leben spielt sich unter deutlich anderen Lebensumständen als zu Zeiten der Weimarer Republik ab. Nichts gegen den Intellekt unserer Groß- und Urgroßeltern, aber es sind über 80 Jahre vergangen und unser Zeitgeist hat sich augenscheinlich doch etwas weiterentwickelt.
Es ist ein Irrglaube, dass die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes plumpen Populisten so auf den Leim gehen, dass diese populistischen Ausrichtungen in Folge die Hürde eines Quorums für ein Begehren erfüllen und mit einem zustimmenden Referendum zum Erfolg kommen würden.
Außerdem – und das können wir nur immer und immer wieder betonen -, bietet Populismus, insofern es sich tatsächlich um einen solchen handelt, die ideale Plattform, um politisch korrekt, sachlich orientiert und ursachenreduzierend gegensteuern zu können. Herr Prof. Dr. Patzelt welcher, wie wir in unserer Bürgeranfrage aufgeführt haben, der wissenschaftliche Verfechter eines gesetzabschaffenden Referendums ist, stellt hierzu fest:

[…] Es ist durchaus nicht verwegen, auch in stabilen repräsentativen Demokratien ohne sonderliche Erfahrungen mit plebiszitären Instrumenten demokratie- und bürgerschaftskultivierende Wirkungen dieser Art zu erwarten, und es ist nicht erforderlich, von vornherein vom schlimmsten Fall auszugehen, wonach plebiszitäre Instrumente ganz einfach Populismus und Demagogie entfesseln oder zu inkonsistenter Politik führen müssen. Gegen beides ist auch der Parteienwettbewerb vor und nach Parlamentswahlen nicht gefeit! Welche „Kultur des Plebiszitären“ aber wirklich entsteht, wird im Einzelfall einesteils davon abhängen, ob die eingeführten plebiszitären Instrumente eine für repräsentative Demokratie hilfreiche Ausgestaltung erfahren, und andernteils davon, wie konstruktiv und sinngemäß die für die Prüfung der Zulässigkeit einer je konkreten Verwendung plebiszitärer Instrumente zuständigen Personen und Institutionen bei ihren Entscheidungen und deren Begründung verfahren […]

Parteiensystem
Die Zuneigung vieler Wählerinnen und Wähler zu neuen Parteien, falls diese sich in irgendeiner Form alternativ oder protestierend geben, ist in den letzten Jahren deutlich gewachsen. Das Problem was wir sehen ist, dass hierdurch im Nebeneffekt „Viel-Fraktionen-Parlamente“ entstehen, wie man sie auf Landesebene in verschiedenen Bundesländern bereits vorfindet.
Die Problematik dieser „bunten“ Parlamente zeigt sich vor allem daran, dass die Bildung stabiler Mehrheitsregierungen erschwert ist und die Gefahr von Regierungskrisen bis hin zu vorgezogenen Neuwahlen besteht.
Aus unserer Sicht sollte eher daran gearbeitet werden, dass der Überdruss und das Misstrauen der Wählerinnen und Wähler an den etablierten Parteien abgebaut wird. Das sinken der Mitgliederzahlen, die Wahlabstinenz und eben die Zuneigung vieler Wählerinnen und Wähler zu den vorgerannten Alternativ- und Protestparteien muss gestoppt werden, um „Viel-Fraktionen-Parlamenten“ welcher unserer Demokratie mehr schaden als helfen, zu vermeiden. Diese politische Herausforderung für die etablierten Parteien ist aus unserer Sicht nur mit einer Erweiterung unseres repräsentativen Demokratiegefüges mit plebiszitären Elementen auf Bundesebene zu meistern.
Ihr Fraktionskollege Arnold Vaatz, MdB, welcher von den bisherig eingebrachten Vorschlag nicht abgeneigt ist, hat darum gebeten, das wir entsprechende Unterlagen zusammenstellen und zugesagt nach deren Vorliegen und Sichtung, die Thematik einer Erweiterung des repräsentativen Demokratiegefüges mit plebiszitären Elementen auf Bundesebene, einer Fraktionsdiskussion zuzuführen. Nicht zuletzt auch auf Grundlage der bisherig hier eingegangenen Antworten, werden wir diese Unterlagen versuchen, so umfassend und fundiert aufzuarbeiten, dass die verschiedenen Meinungsbilder der Abgeordneten aus verfassungsrechtlichen, parlamentarischen und demokratischen Gesichtspunkten entsprechend tangiert werden und somit eine offene Diskussion zulassen.

Wir würden uns darüber freuen, wenn Sie sich in Folge aktiv in die avisierte Diskussion mit Ihrem vorgenannten Fraktionskollegen einbinden.

Wir bedanken uns hierfür im Voraus und verbleiben.

Mit freundlichen Grüßen

Reiko Beil
Initiative Dialog-2015

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Link zum Beitrag:

Quelle: dialog-2015 vom 06.07.2015


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