
Gesetzesabschaffendes Referendum
Abgeordnetenanfrage – persönlicher Brief
Sehr geehrter Herr Beil,
haben Sie vielen Dank für Ihr Schreiben vom 27. Mai 2015, in dem Sie für die Idee eines gesetzabschaffenden Referendums werben.
Ich finde es gut, […]
[…] wenn sich Menschen wie Sie darüber Gedanken machen, wie in unserer Demokratie lebendiger und die Beteiligung gestärkt werden kann. Allerdings lehne ich die Idee eines gesetzabschaffenden Referendums ab.
[…]
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Johann Wadephul, MdB

dialog-2015 an Dr. Johann Wadephul (MdB/CDU) – Gesetzesabschaffendes Referendum
Sehr geehrter Herr Dr. Wadephul,
vielen Dank für Ihre Rückantwort und vor allem die Mühe, welche Sie sich gemacht haben, Ihre Sicht der Problematik zu erklären.
Grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass im Zuge unseres Vorschlages zur Erweiterung des aktuell gelebten Demokratiegefüges, mit dem Modul eines gesetzabschaffendes Referendums, bestimmte Bereiche klar auszugrenzen sind.
Zu diesen Bereichen gehören unumwunden der Bundeshaushalt sowie die damit im direkten Zusammenhang stehenden Verordnungen und Gesetze.
Integriert in den Haushaltsplan ist selbstverständlich der Kapitaldienst (Zins und Tilgung) für aufgenommene Altkredite des Bundes. Wir sehen den Haushaltsplan als eine kompakte geschlossene Einheit, welche trotz einer immensen Komplexität am Ende einer einfachen wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeit unterliegt, die da heißt: „…Es kann nur das Geld ausgegeben werden, welches auch vorhanden ist…“
Wird der Haushalt von wirtschaftlich erklärbaren Komponenten wie Steuerausfällen bzw. unerwarteten oder unverschuldeten Ausgabengefügen tangiert, sind ebenso wie in der Wirtschaft Nachträge und Auflösungen von Rückstellungen oder Budgetverschiebungen nebst Kreditneuaufnahme selbstverständlich nicht Sache des Souveräns, sondern gehören zur Parlaments- und Regierungsarbeit. Das hat unbestritten nichts im Einzugsbereich eines etwaigen Referendums zu suchen.
Werden Steuergelder allerdings nachweisbar durch Missmanagement, parteipolitische Planspiele, Beeinflussung durch Lobbyisten, zu denen im Übrigen ganz klar auch die von Ihnen definierten Vereine und Verbände gehören, oder fehlende ersatzweise abhanden gekommene Kompetenz der politisch Verantwortlichen zum Nachteil der Allgemeinheit verschwendet, muss der Souverän hier die Möglichkeit haben, Einhalt zu gebieten.
Entsprechend sind somit Verordnungen und Gesetze in Verbindung mit einer Neuverschuldung des Bundes sowie Einkommens- und Mehrwertsteuererhöhungen wiederum einem Referendum zugänglich zu machen, wenn – und das ist zu beachten – die Bürgerinnen und Bürger sowie nachfolgende Generationen durch innen- und außenpolitisches parlamentarisches Agieren negativ betroffen werden.
Diesbezügliche Regelungen dürften aber einfach zu finden sein.
Wir gehen davon aus, dass allein die „kleine“ dann verbliebene Möglichkeit, dass der Souverän in Bezug auf den Haushalt mit einem Referendum bei Neuverschuldung und Steuererhöhung gesetzabschaffend agieren kann, bestimmte Vorgänge nicht zuletzt in den von Ihnen beispielhaft benannten Rüstungsausgaben erheblich disziplinieren würde.
Festzuhalten bleibt allerdings, dass rückwirkend selbstverständlich Gesetze in Zusammenhang mit Steuern und Verschuldung des Bundes nicht aufhebbar sein dürfen. Wir reden ausschließlich über die Zukunft, da dort die zumindest erahnten Probleme liegen werden. Also keine Angst (😊), dass der Souverän die Mehrwertsteuer zurück bis ins Jahr 1968 wieder auf 10% senken könnte.
Vor einem Referendum steht allerdings immer das vorgeschlagene Volksbegehren mit einer entsprechend langen Vorlaufzeit. Dieses Volksbegehren mit einem hohen Quorum verschafft den politisch Handelnden einen gewollten Handlungsspielraum.
Wir haben das Gefühl, dass dies von unseren Korrespondenzpartnern immer überlesen wird.
Die Politik kann also „beobachten“, ob ein Volksbegehren auf Grundlage der hoch gestellten Hürde des Quorums, wir sprachen hier von 2,5% der wahlberechtigen Bevölkerung, überhaupt Aussicht auf Erfolg hat.
Zeichnet sich für die politischen Akteure ab, dass sich der Souverän tatsächlich aufbäumt und vom Sessel erhebt, um einem auf den Weg gebrachten Begehren seine Zustimmung zu geben, verbleibt diesen ausreichend Zeit zu handeln.
Die Politik kann dann entweder versuchen, Informationslücken, welche etwaig zu einem fehlenden oder gar falschen Verständnis der politischen Entscheidung und somit zu einem Begehren geführt haben, gegenüber dem Souverän zu schließen oder mit einem modifizierten Handeln den Versuch unternehmen, dem Willen des Volkes entgegenzuwirken, um das Erreichen des Quorums und folglich das Zustandekommen eines Referendums zu vermeiden.
Damit schließt sich schon einmal automatisch der Graben zwischen Politik und Bürger, darauf setzen wir bei Bedarf gern auch eine Wette.
Auch gehen wir davon aus, dass es in den wenigsten Fällen tatsächlich zu einem Referendum kommen würde, da spätestens mit dem Aufleben eines Begehrens das politische Gegensteuern beginnt.
Beide Seiten, also Volk und Politik, würden sich durch die Erweiterung unserer repräsentativen Demokratie mit der Möglichkeit gesetzabschaffender Referenden wieder annähern und vor allem disziplinieren. Die eine Seite durch mehr gezeigte Volksnähe und die andere Seite durch mehr politisches Verstehen.
Man muss seitens der Politik nur wollen und vor allem „Alibiängste“ ablegen.
Wir leben nicht mehr in den 20iger und 30iger Jahren des vorigen Jahrhunderts und unter deutlich anderen Lebensumständen als zu Zeiten der Weimarer Republik. Nichts gegen den Intellekt unserer Groß- und Urgroßeltern, aber es sind über 80 Jahre vergangen und unser Zeitgeist hat sich augenscheinlich doch etwas weiterentwickelt.
Darstellungen eines aufblühenden Populismus im Zusammenhang mit Volksentscheiden, vor allem unter Verweis auf Ausschnitte unserer Geschichte, wie es von manchen Ihrer Kollegen mit Fingerzeig auf die Weimarer Republik gern zelebriert wird, sind kein Argument.
Glaubt ein Teil der Abgeordneten denn wirklich, dass die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes plumpen Populisten so auf den Leim gehen, dass diese die hohe Hürde eines Quorums für ein Begehren erfüllen und in Folge dann noch mit einem zustimmenden Referendum zum Erfolg kommen würden?
Das ist, verzeihen Sie bitte die Ausdrucksweise, völliger Unsinn.
Außerdem bietet Populismus, insofern es sich tatsächlich um einen solchen handelt, die ideale Plattform, um politisch korrekt, sachlich orientiert und ursachenreduzierend gegensteuern zu können.
Derzeit überlassen die politischen Entscheidungsträger, wenn sie sich weiterhin vehement gegen die modulare Erweiterung unserer repräsentativen Demokratie stemmen, Populisten und anderen „Spaßvögeln“ jedoch tatsächlich das Spielfeld und verlieren die Nähe zum Volk und zum Wähler zusehends.
Wenn es ein Volksbegehren tatsächlich bis zu einem Referendum schaffen sollte und unsere politische Elite es nicht zustande bringt, dem Volk die Notwendigkeit einer Verordnung oder eines Gesetzes so zu erklären, dass eine Referendum verhindert werden kann, dann reicht auch ein JA oder NEIN zur Entscheidung aus.
Die Komplexität des Gesetzes ist spätestens an dieser Stelle zweitrangig, und außerdem ist zu beachten, dass ein Gesetz, welches dem Volk in seiner Auswirkung und seinen Folgen nicht erklärbar ist, als solches erst gar nicht verabschiedet werden sollte.
An dieser Stelle schließt sich der Kreis. Sehen Sie das gesetzabschaffende Referendum als virtuelles Folterinstrument gegenüber der Politik an. Nur der Anblick dieses Foltergerätes würde ein Schaudern erwirken und zur vehementen parlamentarischen Disziplin eines jeden Abgeordneten mahnen, dass dieser immer und immer wieder ausschließlich im Interesse des Volkes, unserer Kinder und der Folgegenerationen zu handeln hat.
Bitte animieren Sie Ihre Fraktionskollegen, in das Thema einzusteigen und auf unser Schreiben zu antworten. Von Ihren Koalitionskollegen der SPD, auf welche Sie sicher keinen Einfluss haben, hat uns bisher nicht eine einzige qualifizierte Antwort erreicht, was aus Sicht des Bürgers traurig stimmt.
Wir hoffen auf einen fortlaufenden Dialog, bedanken uns noch einmal und verbleiben
Mit freundlichen Grüßen
Reiko Beil
Initiative Dialog-2015

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Quelle: dialog-2015 vom 10.06.2015