
Gesetzesabschaffendes Referendum
Abgeordnetenanfrage – persönlicher Brief
Sehr geehrter Herr Beil,
ich habe Ihr Schreiben erhalten und antworte Ihnen als Sprecher der AG Demokratie namens der SPD Bundestagsfraktion für alle SPD-Abgeordneten. […]
[…] Die SPD setzt sich seit vielen Jahren für mehr plebiszitäre Elemente in unserer Demokratie ein (erkennbar an unseren Gesetzesentwürfen aus den Jahren 1992 , 2002 , 2013 ). Dies betrifft aus unserer Sicht alle Ebenen, also Bund, Länder und Gemeinden. Dabei ist es grundsätzlich auch möglich, dass sich ein direktdemokratisches Verfahren in seiner Wirkung auf ein schon bestehendes Gesetz bezieht.
Mit Blick auf Ihre Initiative und die Hintergründe, die zu ihrer Gründung geführt haben, will ich Ihnen aber auch schreiben: Es ist immer leichter, gegen etwas zu mobilisieren, als Mehrheiten für eine positive Vereinbarung zu überzeugen. Von Letzterem lebt aber die Demokratie. Zudem bedarf es auch noch weiterer Tugenden, um unser demokratisches Miteinander mit mehr Leben zu füllen. Hierzu gehört zum Beispiel auch, dass man Kompromisse nicht als Verrat an den eigenen Idealen und Überzeugungen ansieht, sondern als wichtigsten Bestandteil unserer Demokratie. Der Kompromiss ist als Instrument des Ausgleichs verschiedener Interessen unverzichtbar für ein friedliches Zusammenleben. Kompromisse zu schließen bedeutet auch, den Anderen zu respektieren, seine Meinung und Argumente nachzuvollziehen, ohne sie teilen zu müssen und von den eigenen Forderungen soweit abrücken zu können, dass eine gemeinsame Position formulierbar ist. Leider wird der Kompromiss von vielen Menschen diskreditiert und die eigene Meinung als „Volkes Stimme“ oder noch schlimmer „gesundes Volksempfinden“ deklariert. In diesen Fällen hilft auch das Einführen von mehr direktdemokratischen Elementen nicht weiter. Dafür bedarf es der grundlegenden politischen Bildung. Hierfür setzt sich die SPD mit aller Kraft ein.
Insgesamt zielt unsere Arbeit auf eine Stärkung der Demokratie. Dies erreichen wir nicht, indem wir den sogenannten Volkswillen und das repräsentative System schwarz-weiß gegeneinander stellen, sondern indem wir, im Geiste Willy Brandts, mehr Demokratie wagen. Dies beinhaltet die intelligente Verknüpfung von direktdemokratischen, repräsentativen und informellen Elementen.
Schließlich: unabhängig vom Verfahren verlangt Demokratie den kontinuierlichen Dialog. In diesem Sinne danke ich Ihnen für Ihr Schreiben und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Lars Castellucci, MdB

dialog-2015 an Dr. Lars Castellucci (MdB/SPD) – Gesetzesabschaffendes Referendum
Sehr geehrter Herr Dr. Castellucci,
vielen Dank für Ihre Antwort.
Grundsätzlich begrüßen wir, dass sich die SPD seit vielen Jahren für mehr plebiszitäre Elemente in unserer Demokratie, also eine stärkere bürgerliche Einbindung in die für unser Land wichtige repräsentative Demokratie, einsetzt.
Sehr begrüßen wir, dass unser Vorschlag des gesetzabschaffenden Referendums eine Tangierung findet, indem Sie darlegen, dass es nach Ansicht grundsätzlich auch möglich ist, dass sich ein direktdemokratisches Verfahren in seiner Wirkung auch auf schon bestehende Gesetze beziehen kann.
Das ist erfreulich, allerdings mit Fragen verbunden. Warum hat seit der Einbringung des ersten Gesetzentwurfes der SPD im Jahr 1992, in den vorangegangenen 23 Jahren keine diesbezügliche Bewegung stattgefunden? Warum hat es die SPD mit einer Regierungsmehrheit im Jahr 2002 gemeinsam mit den Grünen nicht geschafft, dass repräsentative Demokratiegefüge in unserem Land einer direktdemokratischen Erweiterung zuzuführen und die Frage, welche uns am meisten unter den Nägeln brennt, warum wurden im Jahr 2013 keine diesbezüglichen Klärungsansätze in den Koalitionsvertrag aufgenommen?
Hieraus ergeben sich Widersprüche, welche die leise Vermutung eines plakativen Agierens hervorbringen.
Die SPD als Volkspartei wäre doch sicherlich in der Lage gewesen, die Thematik direktdemokratischer Elemente auf Bundesebene trotz damaliger Ablehnung der CDU als Klärungspunkt in den Koalitionsvertrag mit aufzunehmen. Dass dies nicht geschehen ist verwundert. Wie sagte die Kanzlerin am 18.06.2015 in Ihrer Regierungserklärung zu einem anderen brisanten Thema so treffend: „…Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg…“.
Zu Ihrem persönlichen Meinungsgefüge, in Richtung unserer Initiative bleibt festzuhalten, dass wir genau das tun, von welchem Sie meinen, dass es so getan werden muss.
Wir mobilisieren nicht gegen etwas, sondern wir versuchen, Mehrheiten für eine positive Vereinbarung zu überzeugen und wir setzten auf Kompromisse.
Wir fügen Ihnen zu dieser Thematik gern beispielhaft ein Schreiben an Ihren Bundestagskollegen Herrn Hunko von der Partei DIE LINKEN als Anlage bei. Aber vielleicht finden Sie auch die Zeit, unsere Interseite zu besuchen und sich die Dialoge mit Ihrem Kolleginnen und Kollegen des Bundestages zu verinnerlichen. Auch eine Überarbeitung der Kommunikation mit Ihrem Fraktionskollegen Herrn Herzog wäre vielleicht sachdienlich, welche im Übrigen ein wenig von Ihrer pauschalierten Darlegung abweicht, dass die komplette SPD-Fraktion ein gleiches Meinungsbild vertritt. Dies wäre für uns auch erschreckend und würde am demokratischen Glauben zweifeln lassen.
Aus diesem Grund werden wir Ihre Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, welche ausgenommen des Herrn Herzog noch nicht auf unser Schreiben geantwortet haben, mit einer Erinnerung darum bitten, sich persönlich mit unserer Bürgeranfrage auseinanderzusetzen. Denn wie sagte Willy Brandt in einem Grußwort am 15.09.1992 in Berlin so treffend: „…Nichts kommt von selbst. Und nur wenig ist von Dauer. Darum besinnt Euch auf Eure Kraft und darauf, dass jede Zeit eigene Antworten will und man auf ihrer Höhe zu sein hat, wenn Gutes bewirkt werden soll.“
Mit diesen Worten des von den Bürgerinnen und Bürgern unserer Initiative sehr verehrten Altbundeskanzlers erlauben wir uns vorerst zu enden und verbleiben in der Hoffnung weiter mit Ihnen im Dialog stehen zu dürfen
Mit freundlichen Grüßen
Reiko Beil
Initiative Dialog-2015

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Quelle: dialog-2015 vom 19.06.2015