
Gesetzesabschaffendes Referendum
Abgeordnetenanfrage – persönlicher Brief
Sehr geehrter Herr Beil,
[…] Ganz grundsätzlich bin der Überzeugung, dass das parlamentarische System in Deutschland sich sehr gut bewährt hat und bewährt. […]
[…] Und ich bin auch überzeugt, dass wir gut daran tun, an diesem System der repräsentativen Demokratie festzuhalten.
Wie sähe die Alternative aus?
[…]
Mit freundlichen Grüßen
Gabriele Schmidt, MdB

dialog-2015 an Gabriele Schmidt (MdB/CDU) – Gesetzesabschaffendes Referendum
Sehr geehrte Frau Schmidt,
vielen Dank für Ihre Rückantwort.
Wir erlauben uns auf Ihre Ausführungen kurz einzugehen.
Unsere Interesse liegt nicht darauf ausgerichtet, dass parlamentarische System der Bundesrepublik Deutschland abzuschaffen um das Bundesvolk mit Volksabstimmungen regieren zu können. Das haben wir so weder in unserer Anfrage vom 27.05.2015 niedergeschrieben noch im Fortlauf der angebundenen Kommunikation mit Ihren Kolleginnen und Kollegen dargelegt. Die repräsentative Demokratie der Bundesrepublik Deutschland stellt ein durchdachtes und funktionales System dar. Unser Bestreben ist es entsprechend auch nicht, die repräsentative, parlamentarische Demokratie zu verbessern, sondern wir möchten diese erweitern.
Der Kernpunkt unseres Handelns, steht in einem direkten Zusammenhang mit dem von Ihnen benannten Problem der Wahlbeteiligung. Diesem Sachstand bitten wir unbedingte Beachtung zu schenken.
Das Bundesvolk kann auf Grundlage des Grundgesetzes durch Wahlen und Abstimmungen die öffentliche Gewalt lediglich personell in Form seiner Volksvertreter wählen, welche dann im Volksauftrag über den gesamten Zeitraum der Legislaturperiode alleinig alle Sachentscheidungen treffen. Das Resultat dieser parlamentarischen Arbeit der gewählten Volksvertreter, geht jedoch in den letzten Jahren nicht mehr konform mit dem Verstehen des Bundesvolkes.
Es gehört zum Wesen der repräsentativen Demokratie, welche in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten 65 Jahre einen festen Bestand hat, dass die unterschiedlichen, Gesetze tangierenden Sachthemengebiete, in zugehörigen Parlamentsausschüssen und Gremien von Fachleuten, vor einer parlamentarischen Verabschiedung beraten werden. Auf Grund einer mangelnden Einbindung des Bundesvolkes, in diesen parlamentarischen sachthemenbezogenen Findungsprozess, ergibt sich ein immer größer werdender Identifikations- und Vertrauensverlust der Bevölkerung, mit den in Folge getroffenen Sachentscheidungen des Parlaments. Es wächst das Gefühl, Parteien handeln im Eigeninteresse, dem Machterhalt und Geltungsstreben fallen Gemeinschaftsaufgaben zum Opfer und im Vordergrund von Entscheidungen steht nicht mehr das Wohlergehen des Staates und der Wähler.
D.h. im Klartext, da in Verbindung mit getroffenen parlamentarisch politischen Sachentscheidungen dem Wahlvolk nicht mehr verständlich erklärt wird, welche Vor- oder Nachteile sich hieraus ergeben und in welche Richtung sich der Staat bewegt, resigniert ein Großteil des Bundesvolkes mit dem Argument, “…Die da oben machen doch ohnehin, was sie wollen, und wir hier unten können daran sowieso nichts ändern…”. Dies wiederum führt zu einer zunehmenden Politik- und Wahlverdrossenheit des Bundesvolkes, welche in politischen Kreisen auch als mangelnde politische Bildung bezeichnet wird und gipfelt in zunehmenden Zukunfts- und Existenzängsten der Bevölkerung. Diese Mischung von Resignation und Angst gefährdet die Demokratie, vernichtet die damit verbundenen Wertvorstellungen und stellt die politische Ordnung grundsätzlich in Frage.
Der die repräsentative Demokratie der Bundesrepublik Deutschland gefährdende Prozess, einer vehement zunehmenden Politik- und Wahlverdrossenheit und die damit verbundene Resignation des Bundesvolkes kann nur durch die Einbindung plebiszitärer Elementen gestoppt und einer Umkehrung unterzogen werden. Beide Seiten, also Volk und Politik, könnten sich durch die Erweiterung unserer repräsentativen Demokratie mit plebiszitären Elementen wieder annähern. Der zwischenzeitlich in fast allen Bereichen unserer Gesellschaft feststellbare Graben zwischen Politik und Bürgern würde sich so wieder anfangen zu schließen. Sobald es üblich wäre, dass dem Bundesvolk auch während der Legislaturperiode die Möglichkeit gegeben ist, folgenreiche Sachentscheidungen zu treffen und nicht nur alle 4 Jahre Prokura für das Regierungsgeschäft zu erteilen, würden sich automatisch praktische politische Bildungswirkungen einstellen, was der als steril erregten politischen Kultur entsprechend gut täte.
In Ihren Ausführungen zu einem JA oder NEIN stellen Sie darauf ab, dass staatliche Planung in Form von Gesetzen, den Weg der etablierten Rechtsförmlichkeit, unter Verweis auf die Komplexität nicht verlassen darf. Dieser Argumentation halten wir entgegen, dass es sich aus unserer Sicht bei Gesetzen nicht um eine juristische Materie handelt, auf welche sich eine etwaige Bürgerbeteiligung generell nachteilig auswirkt. Diese Auffassung ähnelt zu sehr dem Leitgedanken einer Obrigkeitsstaatlichkeit in der Form, dass ein Recht zu Gemeinwohl alleinig durch Juristenhand entsteht. Demokratie bleibt aus unserer Sicht so nicht lebendig und läuft Gefahr, nach dieser Denkweise seine Legitimitätsgrundlage schrittweise zu verlieren.
Ihrem Schlusssatz stimmen wir zu. Bedenken Sie aber bitte, dass den ca. 80.000.000 Bürgerinnen und Bürger in einer modernen (!) Demokratie, dass Grundrecht gegeben sein muss, in Sachentscheidungen welche 631 Volksvertretern alleinig treffen, integriert zu werden.
Selbstverständlich sind verfassungsrechtliche Grenzen bei der Mitbestimmung des Bundesvolkes zu setzen und die Benachteiligung von Minderheiten ist durch Korrekturmöglichkeiten sowie ein integriertes mehrheitliches Abhilfebegehren auszuschließen. Auch die Hürde des Quorums ist in vielerlei Hinsicht zu überdenken, um einerseits zu gewährleisten, dass Initiativen und Referenden herbeiführbar bleiben, aber andererseits ein inflationärer und die Demokratie lähmender Gebrauch dieser direktdemokratischen Instrumente grundsätzlich vermieden wird.
In Anbindung an die bisherige Korrespondenz mit Ihren Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen und den daraus resultierenden Meinungen, Anregungen und Kritiken, werden wir den unterbreiteten Vorschlag zu unserer Bürgeranfrage vom 27.05.2015 modifizieren und voraussichtlich bis zum Ende des Monats einen Gesetzentwurf zur Ermöglichung eines zweistufigen Volksgesetzgebungsverfahren aus der Mitte des Volkes und eines fakultativen Referendums auf Antrag des Volkes nebst Kommentierung und rechtlicher Beurteilung zur Vorlage bringen. Die entsprechenden Unterlagen werden in Folge nochmalig an alle Bundestagsabgeordneten in der Hoffnung übermittelt, auf deren Grundlage nach der Parlamentspause eine fundierte Diskussion anregen zu können.
Ihr Fraktionskollege Arnold Vaatz, MdB, ist von dem bisherig eingebrachten Vorschlag unserer Initiative angetan und hat zugesagt, nach dem Vorliegen und einer Sichtung der vorgenannten Unterlagen, die Thematik einer Erweiterung des repräsentativen Demokratiegefüges mit plebiszitären Elementen auf Bundesebene, einer gesonderten Fraktionsdiskussion zuzuführen.
Bleibt zum Schluss festzuhalten, dass es erfreulich wäre, wenn Sie sich in Folge aktiv in diese avisierte Debatte einbringen.
Wir bedanken uns hierfür im Voraus und verbleiben
Mit freundlichen Grüßen
Reiko Beil
Initiative Dialog-2015
Quelle: dialog-2015 vom 17.07.2015