
Gesetzesabschaffendes Referendum
Abgeordnetenanfrage – persönlicher Brief
Sehr geehrter Herr Beil,
ich habe Ihr Schreiben vom 27.05.2015 erhalten.
An den von Ihnen gesetzten Beantwortungstermin halte ich mich, obwohl es meiner Meinung nach unpassend ist, eine Frist zu setzen, wenn man einen Bürgerdialog anstrebt. […]
[…] Jede Initiative ist eine Bereicherung für unser demokratisches Miteinander. Und jede einzelne Meinung ist wertvoll für unser demokratisches Gemeinwohl. Dazu gehört auch die Unterschiedlichkeit jeder individuellen Position. Gleichwohl bündeln die Regelungen im Grundgesetz die Maßstäbe unserer freiheitlichen Grundordnung. In diesem Kontext sehe ich ein Referendum, das die Existenz eines Gesetzes mit Ja oder Nein manifestieren soll. Ich glaube nicht, dass diese von Ihnen befürwortete Regelung die Zukunftsfolgen einer gesetzlichen Regelung genauer abbildet, als die gewissenhafte parlamentarische Gesetzgebungsarbeit, an der sich jeder durch Stellungnahmen beteiligen kann.
Ich bin gegen ein gesetzesabschaffendes Referendum.
Mit freundlichen Grüßen
Maria Michalk, MdB

dialog-2015 an Maria Michalk (MdB/CDU) – Gesetzesabschaffendes Referendum
Sehr geehrte Frau Michalk,
vielen Dank für Ihre Antwort.
Wir haben uns, wie Sie dem veröffentlichten Schriftwechsel mit Ihren Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages auf unserer Internetseite entnehmen können, schon mehrfach zur Thematik der Fristsetzung geäußert.
Mit dieser Fristsetzung unterlegen wir die Dringlichkeit eines Agierens, denn wir sehen die demokratischen Errungenschaften in unserem Land als gefährdet an, was wiederum einen gesetzten Rückmeldungstermin legitimeren dürfte.
Wie Ernst allerdings eine aus Eigenmitteln initiierte Bürgeranfrage auch unter dem Aspekt einer gesetzten Frist von vielen Ihrer Kolleginnen und Kollegen genommen wird, welche in Folge zu zielführenden Diskussionen auch innerhalb der jeweiligen Fraktionen anspornen soll, zeigt der aktuell überschaubare Rücklaufstatus.
Nehmen Sie es also bitte nicht persönlich, wir wissen wie eingebunden die Bundestagsabgeordneten in die tägliche parlamentarische Arbeit sind. Aber das Thema, welches wir aufgeworfen haben, sollte vor allem in Bezug auf die fortlaufend stagnierende Wahlbeteiligung und den bürgerlichen Unmut der damit zum Ausdruck kommt, ganz oben auf der Agenda eines jeden Abgeordneten stehen.
Ihrem Meinungsbild und der diesbezüglichen Positionierung entnehmen wir, dass Sie unser Ziel einer wechselseitigen Annäherung von Politik und Bürger etwaig nicht richtig interpretieren.
Die Gewissenhafte parlamentarische Gesetzgebungsarbeit wird keinesfalls in Frage gestellt. Auch die Regelungen des Grundgesetzes stehen außer Frage. Über Gesetze und Rechtsgüter, welche aus einem gesetzabschaffenden Referendum auszugrenzen sind, haben wir schon umfangreich und wiederholt mit Ihren Kolleginnen und Kollegen kommuniziert. Hierzu zählen Haushalts- und Abgabengesetze, die Todesstrafe, die Grundrechte und Gesetze in Zusammenhang mit dem Schutz von Minderheiten. Auch die Gesetzbücher für Strafrecht (StGB), Handelsrecht (HGB) und Bürgerecht (BGB) sollten in ihrer Kompaktheit nicht antastbar sein.
Der Ansatz des Vorschlages für ein gesetzabschaffenden Referendums liegt darin, dass Politik dem Bürger nicht mehr verständlich erklärt wird und der Souverän das Gefühl hat, dass politische Entscheidungen ohne Rücksicht auf Verluste durchgezogen werden. Das macht den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes Angst, eben weil Politik nicht mehr greifbar ist.
Wegen der fehlenden Erklärungen, warum politische Entscheidungen getroffen werden, welche Vor- oder Nachteile sich daraus ergeben können und in welche Richtung sich der Zug bewegt, resigniert ein Großteil der Bevölkerung mit dem Argument, „…Die da oben machen doch ohnehin, was sie wollen, und wir hier unten können daran sowieso nichts ändern…“.
Die Politiker wiederum zeigen sich über ein derartiges Bürgerverhalten verwundert, verärgert und oft auch beleidigt, da sie der Meinung sind, tagtäglich alles zum Wohl des Volkes zu tun.
Letztgenanntes ist für einen Teil Ihrer Kolleginnen und Kollegen auch zutreffend (angemerkt, nicht für alle), aber eine Abgeordneteninternetseite, diverse monatliche Bürgersprechstunden und vereinzelte öffentliche Auftritte reichen nicht aus, um dem Volk Politik und deren Ziele erklärbar zu machen.
Die Abgeordneten des Bundestages werden an dieser Stelle allein gelassen, da auch unsere Medien hier zwischenzeitlich komplett versagen. Vor allem der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten, in diesem Zusammenhang entsprechend zu agieren, wird nicht erfüllt.
Die Lücke oder besser definiert der Graben zwischen Volk und Politik ist zwischenzeitlich so groß, dass Journalisten und Medien gar nicht mehr in der Lage sind, diesen zu schließen.
Politik vermittelt spätestens seit Beginn der Finanz- und Weltwirtschaftskrise im Jahr 2008 den Eindruck einer Hetzjagd und einer Hochhausbaustelle, deren Architekten und Statiker das Handtuch geworfen haben, aber trotzdem mit Hochdruck weiter Etage auf Etage gebaut wird, in der Hoffnung, das Bauwerk kippt nicht um.
Dieser Eindruck führt zusammen mit einem gewaltigen Informationsdefizit zu dieser für Politiker nicht begreifbaren Unzufriedenheit der Bürger, welche ersatzweise auch Politikverdrossenheit genannt wird.
Fragt man die Bürgerinnen und Bürger, warum sie unzufrieden sind, bekommt man aber in den wenigsten Fällen eine Antwort. Oftmals sind es kleinkarierte Probleme, die eigentlich nichts mit der großen Politik zu tun haben, oder Scheinprobleme, die vom Hören und Sagen anderer herrühren. Aber, was fast jeder aus dem bürgerlichen Lager bestätigt, die Angst vor der Zukunft ist allgegenwärtig. Angst davor, dass unsere politischen Akteure Fehler machen und Politik nur noch für einige wenige gemacht wird und am Volk vorbei läuft.
Ja und dort liegt das Problem. Diese Angst basiert darauf, dass wir als Volk nichts mehr erklärt bekommen. Wir haben seit Jahren das Gefühl, stetig vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden.
Die Internetseite der Bundeskanzlerin reicht für Erklärungen nicht aus, die Facebook-Seite der Bundesregierung kann als lustiger Versuch gewertet werden, eine Verfolgung des tagaktuellen politischen Geschehens auf der Webseite des Deutschen Bundestages ist mit einem Zeitaufwand verbunden, den niemand betreiben kann, und die Berichterstattung von Journalisten basiert auf deren individueller Wahrnehmung und weniger auf den tatsächlichen Gegebenheiten.
Zu guter Letzt fehlt es an charismatischen Führungspersönlichkeiten, welche dem Souverän das Gefühl von Geborgenheit, Sicherheit und Weitsicht geben.
Also, auch wenn man unterstellt, dass die Politik der großen Koalition für unser Land und unsere Zukunft gut ist, versteht diese Politik ein Großteil des Volkes nicht mehr.
Wir mussten darüber schmunzeln, als in den vorangegangenen Tagen medial verbreitet wurde, dass die Bundestagsparteien gemeinsam mit der FDP eine Offensive gegen die Wahlverdrossenheit der Bundesbürger einleiten und man beabsichtige, die Briefwahl zu vereinfachen.
Das ist blanker Opportunismus und wird nichts ändern.
Unsere Demokratie ist ernsthaft gefährdet und die Politik ist gefordert, hier gegenzusteuern, aber bitte nicht mit einer Vereinfachung der Briefwahl.
Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen müssen begreifen, dass unsere Demokratie nur gerettet werden kann, wenn man die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes politisch einbindet.
Eine Einbindung nach dem Schweizer Vorbild, darüber besteht Einigkeit, ist nicht umsetzbar. Fest steht auch, dass die Strukturen der repräsentativen Demokratie grundsätzlich passen und hier auch keine Veränderungen, sondern lediglich Anpassungen notwendig sind.
Was dringend angepasst werden muss, ist einerseits der wechselseitige (!) Informationsfluss zwischen Volk und Politik. Vergessen Sie aber bitte in diesem Zusammenhang die aktuelle Offensive der Bundesregierung „Gut Leben in Deutschland“. Dass kann genau so scherzhaft aufgefasst werden wie die vorgenannte Briefwahlmodifizierung.
Auf Grund der Tatsache, dass es immer mehr Berufspolitiker mit fehlenden alltagsberuflichen und basisorientierten Erfahrungen im Parlament gibt, politische Entscheidungen aber immer kompakter und unkalkulierbarer werden, muss zum anderen zusätzlich ein „Sicherungsventil“ eingebaut werden, was eine Korrektur gemachter Fehler ohne parteipolitisches und parlamentarisches Planspiel zulässt.
Beide Positionen würde ein gesetzabschaffendes Referendum ohne Probleme in sich vereinen.
Versteht das Volk bestimmte Entscheidungen nicht, kommt es zum Begehren. Das Begehren ist dann ein Alarmzeichen an die Politik, in Sachen Erklärungsnotstand oder Nachbesserungsbedarf dringend zu handeln. Versagt die Politik an dieser Stelle oder wurde, was eher die Ausnahme (!) sein wird, tatsächlich ein Gesetz oder Rechtsgut verabschiedet, welches dem Volk so stark schadet, dass eine Begehren das hohe Quorum erfüllt, muss die Konsequenz eines Referendums in Kauf genommen werden.
Da vor einem derartigen Referendum, wie bereits aufgeführt, aber immer ein Volksbegehren mit einer entsprechend langen Vorlaufzeit und einem hohen Quorum steht, verschafft die Dauer des Begehrens den politisch Handelnden ein absichtlich gewolltes Zeitfenster. Diese Zeit muss durch die Politikerinnen und Politiker unseres Landes für den Fall eines Begehrens, bei welchem sich tatsächlich das Zustandekommen eines Referendums abzeichnet, unter anderem dafür genutzt werden, den Souverän grundsätzlich über die etwaige Folgen einer etwaigen Gesetzabschaffung aufzuklären.
Die Politik kann so versuchen, Informationslücken, welche möglicherweise zu einem fehlenden oder gar falschen Verständnis der politischen Entscheidungen und somit zu einem Begehren geführt haben, gegenüber dem Souverän zu schließen, oder mit einem modifizierten Handeln den Versuch unternehmen, dem Willen des Volkes entgegenzuwirken, um das Erreichen des Quorums und folglich das Zustandekommen eines Referendums zu vermeiden.
Damit schließt sich automatisch auch der zwischenzeitliche überall feststellbare Graben zwischen Politik und Bürgern.
Wir hatten gegenüber Ihren Kolleginnen und Kollegen bereits mehrfach dargelegt, dass es nach unserer Auffassung in den wenigsten Fällen tatsächlich zu einem gesetzabschaffenden Referendum kommen wird, da spätestens mit dem Aufleben eines Volksbegehrens, das ein gesetztes Quorum erreichen könnte, das politische Gegensteuern beginnt.
Beide Seiten, also Volk und Politik, würden sich durch die Erweiterung unserer repräsentativen Demokratie mit der Möglichkeit gesetzabschaffender Referenden wieder annähern und vor allem disziplinieren.
An dieser Stelle möchten wir vorerst enden und hoffen, dass Sie trotz der Fristsetzung in unserer Bürgeranfrage weiter mit uns in Verbindung bleiben.
Mit freundlichen Grüßen
Reiko Beil
Initiative Dialog-2015

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Quelle: dialog-2015 vom 15.06.2015