
Gesetzesabschaffendes Referendum
Abgeordnetenanfrage – persönlicher Brief
Sehr geehrter Herr Beil,
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 27. Mai dieses Jahres, in dem Sie die Einführung eines gesetzesabschaffenden Referendum vorschlagen. In meiner Fraktion als Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag antworte ich Ihnen gerne […]
[…] auch im Namen unserer Vorsitzenden, gerda Hasselfeldt MdB, sowie meiner Kolleginnen und Kollegen, die Sie ebenfalls angeschrieben haben.
[…]
Mit freundlichen Grüßen
Max Straubinger, MdB

dialog-2015 an Max Straubinger (MdB/CSU) – Gesetzesabschaffendes Referendum
Sehr geehrter Herr Straubinger,
vielen Dank für Ihre umfassende Rückantwort.
Wir freuen uns gemeinsam, mit vielen anderen Bürgerinnen und Bürgern, über Ihre Mitteilung, dass sich die CSU Landesgruppe im Deutschen Bundestag für Volksentscheide auf Bundesebene einsetzt. Das ist ein wohltuender Anfang.
Wie bereits einigen Ihrer Kolleginnen und Kollegen mitgeteilt, sieht auch unsere Initiative die Notwendigkeit, dass bei Volksentscheide auf Bundesebene, bestimmte Gesetze und Rechtsgüter ausgegrenzt werden müssen.
Hierzu zählen Haushalts- und Abgabengesetze, die Todesstrafe, die Grundrechte und Gesetze in Zusammenhang mit dem Schutz von Minderheiten. Auch die Gesetzbücher für Strafrecht (StGB), Handelsrecht (HGB) und Bürgerecht (BGB) sollten in ihrer Kompaktheit nicht antastbar sein.
Die Ihrerseits angeschnittene Thematik, dass die jüngere Vergangenheit der Bundesrepublik Deutschland belegt, dass eine Vielzahl von politischen Entscheidungen, welche der deutsche Bundestag getroffen hat, anfänglich bei der deutschen Bevölkerung unpopulär gewesen sind und erst Jahre später eine Akzeptanz gefunden haben, favorisiert den Vorschlag eines gesetzabschaffenden Referendums.
Es wäre aus unserer Sicht gerade unter Beachtung des Ihrerseits benannten Aspektes, dass eine Akzeptanz bei der Bevölkerung mit Zeit verbunden ist günstiger, in die Konstellationen der Schaffung und Verabschiedung von Gesetzen und Rechtsgütern, dass Volk nicht (!) eingreifen zu lassen. Diese Form unserer repräsentativen Demokratie sollte in deren gesamten parlamentarischen Grundzügen entsprechend unverändert bleiben.
Gut Ding braucht Weile. Ist das Ding aber trotz der Weile gefühlt doch nicht so gut bzw. zeigen sich nach einer Verabschiedung von Gesetzen oder Rechtsgütern bürgerliche Verständnisprobleme auf, bleibt dem Souverän dann das Werkzeug des gesetzabschaffenden Referendums.
Da vor einem derartigen Referendum aber immer ein Volksbegehren mit einer entsprechend langen Vorlaufzeit und einem hohen Quorum steht, verschafft die Dauer des Begehrens den politisch Handelnden ein absichtlich gewolltes Zeitfenster. Diese Zeit muss durch die Politikerinnen und Politiker unseres Landes für den Fall eines Begehrens, bei welchem sich tatsächlich das Zustandekommen eines Referendums abzeichnet, unter anderem dafür genutzt werden, den Souverän grundsätzlich über die etwaige Folgen einer etwaigen Gesetzabschaffung aufzuklären.
Die Politik kann so versuchen, Informationslücken, welche möglicherweise zu einem fehlenden oder gar falschen Verständnis der politischen Entscheidungen und somit zu einem Begehren geführt haben, gegenüber dem Souverän zu schließen, oder mit einem modifizierten Handeln den Versuch unternehmen, dem Willen des Volkes entgegenzuwirken, um das Erreichen des Quorums und folglich das Zustandekommen eines Referendums zu vermeiden.
Damit schließt sich automatisch auch der zwischenzeitliche überall feststellbare Graben zwischen Politik und Bürgern.
Wir hatten gegenüber Ihren Kolleginnen und Kollegen bereits mehrfach dargelegt, dass es nach unserer Auffassung in den wenigsten Fällen tatsächlich zu einem gesetzabschaffenden Referendum kommen wird, da spätestens mit dem Aufleben eines Volksbegehrens, das ein gesetztes Quorum erreichen könnte, das politische Gegensteuern beginnt.
Beide Seiten, also Volk und Politik, würden sich durch die Erweiterung unserer repräsentativen Demokratie mit der Möglichkeit gesetzabschaffender Referenden wieder annähern und vor allem disziplinieren.
Dass durch eine dem Volk gegebene Möglichkeit, gesetzabschaffender Referenden die festgelegten Systeme des Föderalismus negativ tangiert werden, sehen wir nicht. Ihr Kollege Herr Dr. Bergner (CDU) hat die Thematik aufgeworfen, nach seinem Meinungsbild bestände die Gefahr, dass die Bevölkerung eines Bundeslandes die Bevölkerung eines anderen Bundeslandes zu deren Nachteil überstimmt. Zur Vermeidung von Wiederholungen erlauben wir uns, auf unsere diesbezügliche Antwort an Ihren Kollegen zu verweisen, die auf unserer Internetseite eingestellt ist.
Die von Ihnen benannten Evaluierungsfristen, also Verfallsdaten, mit welchen man Gesetze unterlegen kann, ersetzen den Vorschlag gesetzabschaffender Referenden nicht, wären aber ein überlegenswerter Punkt, wie bereits mit Ihrem Kollegen Herrn Dr. Tauber (CDU) kommuniziert.
Der Grundgedanke eines gesetzabschaffenden Referendums, dass die Bürgerinnen und Bürger mehr in das politischen Geschehen eingebunden werden, dürfte allerdings durch eine Evaluierung und auch durch „Sunset-Klauseln“ keine Erfüllung finden.
Vielmehr würde die Politik damit weiter Gefahr laufen, vom Wahlvolk immer mehr als Parallelwelt wahrgenommen zu werden. Die Auswirkungen auf unsere demokratischen Strukturen sind aktuell nicht nur im Wahlverhalten der Bürgerinnen und Bürger feststellbar.
Politik wird für den Bürger nicht mehr verständlich erklärt und der Souverän hat das Gefühl, dass politische Entscheidungen ohne Rücksicht auf Verluste durchgezogen werden. Das macht den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes Angst, weil Politik nicht mehr greifbar ist.
Wegen der fehlenden Erklärungen, warum politische Entscheidungen getroffen werden, welche Vor- oder Nachteile sich daraus ergeben können und in welche Richtung sich der Zug bewegt, resigniert ein Großteil der Bevölkerung mit dem Argument, „…Die da oben machen doch ohnehin, was sie wollen, und wir hier unten können daran sowieso nichts ändern…“.
Die Politiker wiederum zeigen sich über ein derartiges Bürgerverhalten verwundert, verärgert und oft auch beleidigt, da sie der Meinung sind, tagtäglich alles zum Wohl des Volkes zu tun.
Letztgenanntes ist für einen Teil Ihrer Kolleginnen und Kollegen auch zutreffend (angemerkt, nicht für alle), aber eine Abgeordneteninternetseite, diverse monatliche Bürgersprechstunden und vereinzelte öffentliche Auftritte reichen nicht aus, um dem Volk Politik und deren Ziele erklärbar zu machen.
Die Abgeordneten des Bundestages werden an dieser Stelle allein gelassen, da auch unsere Medien hier zwischenzeitlich komplett versagen. Vor allem der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten, in diesem Zusammenhang entsprechend zu agieren, wird nicht erfüllt.
Die Lücke oder besser definiert der Graben zwischen Volk und Politik ist zwischenzeitlich so groß, dass Journalisten und Medien gar nicht mehr in der Lage sind, diesen zu schließen.
Politik vermittelt spätestens seit Beginn der Finanz- und Weltwirtschaftskrise im Jahr 2008 den Eindruck einer Hetzjagd und einer Hochhausbaustelle, deren Architekten und Statiker das Handtuch geworfen haben, aber trotzdem mit Hochdruck weiter Etage auf Etage gebaut wird, in der Hoffnung, das Bauwerk kippt nicht um.
Dieser Eindruck führt zusammen mit einem gewaltigen Informationsdefizit zu dieser für Politiker nicht begreifbaren Unzufriedenheit der Bürger, welche ersatzweise auch Politikverdrossenheit genannt wird.
Fragt man die Bürgerinnen und Bürger, warum sie unzufrieden sind, bekommt man aber in den wenigsten Fällen eine Antwort. Oftmals sind es kleinkarierte Probleme, die eigentlich nichts mit der großen Politik zu tun haben, oder Scheinprobleme, die vom Hören und Sagen anderer herrühren. Aber, was fast jeder aus dem bürgerlichen Lager bestätigt, die Angst vor der Zukunft ist allgegenwärtig. Angst davor, dass unsere politischen Akteure Fehler machen und Politik nur noch für einige wenige gemacht wird und am Volk vorbei läuft.
Ja und dort liegt das Problem. Diese Angst basiert darauf, dass wir als Volk nichts mehr erklärt bekommen. Wir haben seit Jahren das Gefühl, stetig vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden.
Die Internetseite der Bundeskanzlerin reicht für Erklärungen nicht aus, die Facebook-Seite der Bundesregierung kann als lustiger Versuch gewertet werden, eine Verfolgung des tagaktuellen politischen Geschehens auf der Webseite des Deutschen Bundestages ist mit einem Zeitaufwand verbunden, den niemand betreiben kann, und die Berichterstattung von Journalisten basiert auf deren individueller Wahrnehmung und weniger auf den tatsächlichen Gegebenheiten.
Zu guter Letzt fehlt es an charismatischen Führungspersönlichkeiten, welche dem Souverän das Gefühl von Geborgenheit, Sicherheit und Weitsicht geben.
Also, auch wenn man unterstellt, dass die Politik der großen Koalition für unser Land und unsere Zukunft gut ist, versteht diese Politik ein Großteil des Volkes nicht mehr.
Wir mussten darüber schmunzeln, als in den letzten Tagen medial verbreitet wurde, dass die Bundestagsparteien gemeinsam mit der FDP eine Offensive gegen die Wahlverdrossenheit der Bundesbürger einleiten und man beabsichtige, die Briefwahl zu vereinfachen.
Das ist blanker Opportunismus und wird überhaupt nichts ändern.
Unsere Demokratie ist ernsthaft gefährdet und die Politik ist gefordert, hier gegenzusteuern, aber bitte doch nicht mit solch einem Quatsch wie einer Vereinfachung der Briefwahl. Wer hat sich bloß so etwas ausgedacht.
Sie als Politiker müssen begreifen, dass die Demokratie nur gerettet werden kann, wenn man die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes wieder mehr einbindet.
Eine Einbindung nach dem Schweizer Vorbild, darüber besteht Einigkeit, ist nicht umsetzbar. Fest steht auch, dass die Strukturen der repräsentativen Demokratie in unserm Land, wie anfänglich bereits aufgeführt, grundsätzlich passen und hier eigentlich auch keine Veränderungen, sondern lediglich Anpassungen notwendig sind.
Was dringend angepasst werden muss, ist einerseits der wechselseitige (!) Informationsfluss zwischen Volk und Politik. Vergessen Sie aber bitte in diesem Zusammenhang die aktuelle Offensive der Bundesregierung mit dem Thema „Gut Leben in Deutschland“. Dass grenzt genau so an einen schlechten Scherz wie die vorgenannte Briefwahlmodifizierung.
Auf Grund der Tatsache, dass es immer mehr Berufspolitiker mit fehlenden alltagsberuflichen und basisorientierten Erfahrungen im Parlament gibt, politische Entscheidungen aber immer kompakter und unkalkulierbarer werden, muss zum anderen zusätzlich ein „Sicherungsventil“ eingebaut werden, was eine Korrektur gemachter Fehler ohne parteipolitisches und parlamentarisches Planspiel zulässt.
Beide Positionen würde ein gesetzabschaffendes Referendum ohne Probleme in sich vereinen.
Damit verbleiben wir in der Hoffnung wieder von einander zu hören
Mit freundlichen Grüßen
Reiko Beil
Initiative Dialog-2015

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Quelle: dialog-2015 vom 15.06.2015