
Gesetzesabschaffendes Referendum
Abgeordnetenanfrage – persönlicher Brief
Sehr geehrter Herr Beil,
Ich bitte um Verständnis für die verspätete Antwort. Vorrang bei der Beantwortung von Bürgeranfragen haben die aus dem eigenen Wahlkreis und sind zahl- und meist hilfreich. Dafür bitte ich um Verständnis.
Mittlerweile habe ich mich mit Ihren Vorschlägen umfassender auseinandergesetzt und kann Ihnen mitteilen, […]
[…] dass ich Ihre Ideen nicht teile und möchte dies kurz begründen. Eine grundsätzliche Verbesserung für unsere repräsentative, parlamentarische Demokratie erkenne ich nicht.
[…]
Mit freundlichen Grüßen
Peter Stein, MdB

dialog-2015 an Peter Stein (MdB/CDU) – Gesetzesabschaffendes Referendum
Sehr geehrter Herr Stein,
besten Dank für Ihre umfassende Antwort auf unsere Bürgeranfrage vom 27.05.2015.
Wir erlauben uns kurz auf Ihr dargelegtes Meinungsbild einzugehen.
Unser Agieren liegt nicht darin begründet, die repräsentative, parlamentarische Demokratie zu verbessern, sondern diese zu erweitern. Grund hierfür ist, dass Politik dem Bürger nicht mehr verständlich erklärt wird. Wegen der fehlenden Erklärungen, warum politische Entscheidungen getroffen werden, welche Vor- oder Nachteile sich daraus ergeben können und in welche Richtung sich unser Land bewegt, resigniert ein Großteil der Bevölkerung mit dem Argument, „…Die da oben machen doch ohnehin, was sie wollen, und wir hier unten können daran sowieso nichts ändern…“. Das wiederum führt zu Resignation sowie Politik- und Wahlverdrossenheit. Dem wiederum könnte man mit unserem Vorschlag zur politischen Einbindung des Wahlvolkes abhelfen.
Kommt es zu einer Initiative bzw. einem Begehren auf Antrag des Volkes, ist dass ein klares Alarmzeichen an die Politik, in Sachen Erklärungsnotstand oder Nachbesserungsbedarf dringend zu handeln. Versagt die Politik an dieser Stelle oder, was eher die Ausnahme sein wird, gibt es tatsächlich ein Gesetz oder Rechtsgut, welches dem Volk so schadet, dass ein Begehren das gesetzte Quorum erfüllt, muss die Konsequenz eines Referendums in Kauf genommen werden.
Die Politik muss Informationslücken schließen, oder entsprechende Nachbesserungen vornehmen, um dem Willen des Wahlvolkes entgegenzuwirken und somit das Erreichen des Quorums und folglich das Zustandekommen eines Referendums zu vermeiden.
Damit schließt sich automatisch auch der zwischenzeitliche überall feststellbare Graben zwischen Politik und Bürgern.
Wir hatten gegenüber Ihren Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Fraktionen bereits mehrfach dargelegt, dass es nach unserer Auffassung in den wenigsten Fällen tatsächlich zu einem Referendum kommen wird, da spätestens mit dem Aufleben eines Volksbegehrens, welches ein gesetztes Quorum erreichen könnte, das politische Gegensteuern beginnt.Beide Seiten, also Volk und Politik, würden sich durch die Erweiterung unserer repräsentativen Demokratie mit dem vorgeschlagenen plebiszitären Element wieder annähern.
Selbstverständlich sind verfassungsrechtliche Grenzen bei der Mitbestimmung des Wahlvolkes zu setzen und die Benachteiligung von Minderheiten ist durch Korrekturmöglichkeiten des streitbaren Gesetzes sowie ein integriertes mehrheitliches Abhilfebegehren auszuschließen.
Auch die Hürde des Quorums wäre in vielerlei Hinsicht zu überdenken, um einerseits zu gewährleisten, dass Volksbegehren herbeiführbar bleiben, aber andererseits ein inflationärer und die Demokratie lähmender Gebrauch dieses direktdemokratischen Instruments grundsätzlich vermieden wird.
Ihre Darstellungen eines aufblühenden Populismus im Zusammenhang mit Volksentscheiden unter Verweis auf Ausschnitte unserer Historie sind streitbar. Wir leben nicht mehr in den 20iger und 30iger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Unser Leben spielt sich unter deutlich anderen Lebensumständen als zu Zeiten der Weimarer Republik ab. Nichts gegen den Intellekt unserer Groß- und Urgroßeltern, aber es sind über 80 Jahre vergangen und unser Zeitgeist hat sich augenscheinlich doch etwas weiterentwickelt. Wir glauben nicht, dass die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes von populistischen Ausrichtungen so verführt werden können, um Populismus und Extremismus erstarken zu lassen. Außerdem – und das können wir nur immer und immer wieder betonen -, bietet Populismus, insofern es sich tatsächlich um einen solchen handelt, die ideale Plattform, um politisch korrekt, sachlich orientiert und ursachenreduzierend gegensteuern zu können. Herr Prof. Dr. Patzelt welcher, wie wir in unserer Bürgeranfrage aufgeführt haben, der wissenschaftliche Verfechter eines gesetzabschaffenden Referendums ist, stellt hierzu fest:
[…] Es ist durchaus nicht verwegen, auch in stabilen repräsentativen Demokratien ohne sonderliche Erfahrungen mit plebiszitären Instrumenten demokratie- und bürgerschaftskultivierende Wirkungen dieser Art zu erwarten, und es ist nicht erforderlich, von vornherein vom schlimmsten Fall auszugehen, wonach plebiszitäre Instrumente ganz einfach Populismus und Demagogie entfesseln oder zu inkonsistenter Politik führen müssen. Gegen beides ist auch der Parteienwettbewerb vor und nach Parlamentswahlen nicht gefeit! Welche „Kultur des Plebiszitären“ aber wirklich entsteht, wird im Einzelfall einesteils davon abhängen, ob die eingeführten plebiszitären Instrumente eine für repräsentative Demokratie hilfreiche Ausgestaltung erfahren, und andernteils davon, wie konstruktiv und sinngemäß die für die Prüfung der Zulässigkeit einer je konkreten Verwendung plebiszitärer Instrumente zuständigen Personen und Institutionen bei ihren Entscheidungen und deren Begründung verfahren […]
Ihr Fraktionskollege Arnold Vaatz, MdB, welcher von den bisherig eingebrachten Vorschlag nicht abgeneigt ist, hat darum gebeten, das wir entsprechende Unterlagen zusammenstellen und zugesagt nach deren Vorliegen und Sichtung, die Thematik einer Erweiterung des repräsentativen Demokratiegefüges mit plebiszitären Elementen auf Bundesebene, einer Fraktionsdiskussion zuzuführen. Nicht zuletzt auch auf Grundlage der bisherig hier eingegangenen Antworten, werden wir diese Unterlagen versuchen, so umfassend und fundiert aufzuarbeiten, dass die verschiedenen Meinungsbilder der Abgeordneten aus verfassungsrechtlichen, parlamentarischen und demokratischen Gesichtspunkten entsprechend tangiert werden und somit eine offene Diskussion zulassen.
Es wäre erfreulich, wenn Sie sich in Folge aktiv in die avisierte Diskussion mit Ihrem vorgenannten Fraktionskollegen einbinden.
Wir bedanken uns hierfür im Voraus und verbleiben.
Mit freundlichen Grüßen
Reiko Beil
Initiative Dialog-2015

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Quelle: dialog-2015 vom 07.07.2015