
Gesetzesabschaffendes Referendum
Abgeordnetenanfrage – persönlicher Brief
Sehr geehrter Herr Beil,
[…] Den von Ihnen vorgetragenen Vorschlag lehne ich ab. In meinen Augen steht er im Widerspruch zu den Grundsätzen repräsentativer Demokratie. […]
[…] Die repräsentative Demokratie bietet in Verbindung mit den Grundrechten alle Möglichkeiten politischer Teilhabe. Eine nützliche Wirkung Ihres Vorschlages erkenne ich nicht.
Mit freundlichen Grüßen
Rudolf Henke, MdB

dialog-2015 an Rudolf Henke (MdB/CDU) – Gesetzesabschaffendes Referendum
Sehr geehrter Herr Henke,
vielen Dank für Ihre Rückantwort.
Bitte erlauben Sie uns die Anmerkung, dass die von Ihnen definierte Möglichkeit der politischen Teilhabe am repräsentativen Demokratiesystem unseres Landes verbunden mit den Grundrechten leider nicht mehr ausreicht. Unser Land hat sich verändert und die repräsentative Demokratie muss sich diesen Veränderungen anpassen um nicht Gefahr zu laufen, ihre Grundausrichtung zu verlieren.
Politik vermittelt spätestens seit Beginn der Finanz- und Weltwirtschaftskrise im Jahr 2008 den Eindruck einer Hetzjagd und einer Hochhausbaustelle, deren Architekten und Statiker das Handtuch geworfen haben, aber trotzdem mit Hochdruck weiter Etage auf Etage gebaut wird, in der Hoffnung, das Bauwerk kippt nicht um. Dieser Eindruck führt zusammen mit einem gewaltigen Informationsdefizit zu dieser oftmals für Politiker nicht begreifbaren Unzufriedenheit der Bürger.
Die Wesenszüge der repräsentativen Demokratie, welche in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten 65 Jahre einen festen Bestand haben und beinhalten, dass die unterschiedlichen Sachthemengebiete, welche in Folge zu Gesetzverabschiedungen führen, ausschließlich in zugehörigen Parlamentsausschüssen und Gremien von Fachleuten vor einer parlamentarischen Verabschiedung beraten werden, passen leider nicht mehr in das aktuelle Zeitgeschehen. Auf Grundlage des Grundgesetzes, ist durch Wahlen und Abstimmungen die öffentliche Gewalt lediglich personell in Form der Volksvertreter, seitens des Bundesvolkes wählbar. Die Volksvertreter treffen nach ihrer Wahl im Volksauftrag über den gesamten Zeitraum der Legislaturperiode alle Sachentscheidungen allein. Das Resultat dieser parlamentarischen Arbeit der gewählten Volksvertreter, geht in den letzten Jahren aber leider nicht mehr konform mit dem Verstehen des Bundesvolkes. Da die Bürgerinnen und Bürger in den vorgenannten parlamentarischen sachthemenbezogenen Findungsprozess nur mangelhaft eingebunden sind, ergibt sich ein immer größer werdender Identifikationsverlust mit den in Folge getroffenen Sachentscheidungen. Der Bürger hat das Gefühl, dass Gemeinschaftsaufgaben dem Eigeninteresse der Parteien zum Opfer fallen sowie Macht und Geld im Vordergrund stehen und nicht das Wohlergehen des Staates und der Wähler. Da im Zuge getroffener parlamentarisch politischen Sachentscheidungen dem Wahlvolk nicht mehr verständlich erklärt wird, welche Vor- oder Nachteile sich hieraus ergeben und in welche Richtung sich der Staat bewegt, resigniert ein Großteil des Bundesvolkes mit dem Argument, “…Die da oben machen doch ohnehin, was sie wollen, und wir hier unten können daran sowieso nichts ändern…”. Das wiederum führt zu einer zunehmenden Politik- und Wahlverdrossenheit, welche in politischen Kreisen auch als mangelnde politische Bildung bezeichnet wird und gipfelt in zunehmenden Zukunfts- und Existenzängsten. Dieser fortschreitende und sich durch alle Bevölkerungsschichten ausbreitende Prozess von Resignation und Angst gefährdet die Demokratie, vernichtet die damit verbundenen Wertvorstellungen und stellt die politische Ordnung der Bundesrepublik Deutschland schrittweise in Frage.
Der die repräsentative Demokratie der Bundesrepublik Deutschland gefährdende Prozess einer vehement zunehmenden Politik- und Wahlverdrossenheit und die damit verbundene Resignation des Bundesvolkes, kann nur durch die Einbindung plebiszitärer Elementen gestoppt und einer Umkehrung unterzogen werden. Beide Seiten, also Volk und Politik, können sich durch die Erweiterung unserer repräsentativen Demokratie mit plebiszitären Elementen wieder annähern. Sobald es üblich wäre, dass die Bürger auch während der Legislaturperiode folgenreiche Sachentscheidung zu treffen haben und nicht nur aller 4 Jahre Jahre Prokura für das Regierungsgeschäft erteilen, würden praktische politische Bildungswirkungen garantiert nicht ausbleiben, was im Umkehrschluss der als steril erregten politischen Kultur entsprechend gut täte. Selbstverständlich sind verfassungsrechtliche Grenzen bei der Mitbestimmung des Bundesvolkes zu setzen und die Benachteiligung von Minderheiten ist durch Korrekturmöglichkeiten sowie ein integriertes mehrheitliches Abhilfebegehren auszuschließen. Auch die Hürde des Quorums, ist in vielerlei Hinsicht zu überdenken, um einerseits zu gewährleisten, dass Initiativen und Referenden herbeiführbar bleiben, aber andererseits ein inflationärer und die Demokratie lähmender Gebrauch dieser direktdemokratischen Instrumente grundsätzlich vermieden wird.
In Anbindung an die bisherige Korrespondenz mit Ihren Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen und den daraus resultierenden Meinungen, Anregungen und Kritiken, werden wir den unterbreiteten Vorschlag zu unserer Bürgeranfrage vom 27.05.2015 entsprechend modifizieren und voraussichtlich bis Mitte August einen Gesetzentwurf zur Ermöglichung eines zweistufigen Volksgesetzgebungsverfahren aus der Mitte des Volkes und eines fakultativen Referendums auf Antrag des Volkes nebst entsprechender Kommentierung und rechtlicher Beurteilung zur Vorlage bringen. Die entsprechenden Unterlagen werden in Folge nochmalig an alle Bundestagsabgeordneten in der Hoffnung übermittelt, auf deren Grundlage nach der Parlamentspause eine fundierte Diskussion anregen zu können.
Ihr Fraktionskollege Arnold Vaatz, MdB, ist von dem bisherig eingebrachten Vorschlag unserer Initiative angetan und hat zugesagt, nach dem Vorliegen und einer Sichtung der vorgenannten Unterlagen, die Thematik einer Erweiterung des repräsentativen Demokratiegefüges mit plebiszitären Elementen auf Bundesebene, einer gesonderten Fraktionsdiskussion zuzuführen.
Bleibt zum Schluss festzuhalten, dass es erfreulich wäre, wenn Sie sich in Folge aktiv in eine themenbezogene Debatte einbringen.
Wir bedanken uns hierfür im Voraus und verbleiben
Mit freundlichen Grüßen
Reiko Beil
Initiative Dialog-2015

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Quelle: dialog-2015 vom 23.07.2015