
Gesetzesabschaffendes Referendum
Abgeordnetenanfrage – persönlicher Brief
Sehr geehrter Herr Beil,
besten Dank für Ihr Anschreiben vom 27. Mai zum Thema gesetzabschaffendes Referendum.
Ich freue mich, […]
[…] dass Sie die Argumente des Innenministers Thomas de Maizière gegen eine generelle Einführung von Volksabstimmungen zu überzeugen vermochten – ich teile diese Argumente ausdrücklich. Sie schlagen daher nun eine Referendumsmöglichkeit vor, die sich nur auf die Abschaffung von bestehenden Gesetzen bezieht, vor. Allerdings sehe ich auch hier eine Reihe von praktischen Problemen. […]
Mit freundlichen Grüßen
Tankred Schipanski, MdB

dialog-2015 an Tankred Schipanski (MdB/CDU) – Gesetzesabschaffendes Referendum
Sehr geehrter Herr Schipanski,
vielen Dank für Ihr inhaltlich fundiertes Antwortschreiben.
Wir freuen uns vor allem in Bezug auf Ihren letzten Satz, dass unser Anliegen einer Erweiterung des repräsentativen Demokratiegefüges mit plebiszitären Elementen, einen grundsätzlichen Dialogansatz gefunden hat.
Die Ihrerseits angesprochene Verbesserung der Einbringung von Gesetzesinitiativen auf Bundesebene durch den Bürger, wäre selbstverständlich zu begrüßen. Das Recht zur Gesetzesinitiative auf Bundesebene obliegt in der Bundesrepublik Deutschland aktuell ausschließlich den Staatsorganen. So darf nach unserem Wissensstand, die Bundesregierung als Einheit oder die Mitglieder des Bundestages, unter der Voraussetzung einer Beteiligung von mindestens 5% der Abgeordneten, eine Gesetzesvorlage einbringen. Der Bundestag muss sich in Folge mit dieser beschäftigen und abschließend darüber abstimmen. Bei zustimmender Abstimmung muss in Folge der Bundesrat mit der Mehrheit seiner Stimmen eine Zustimmung erteilen. Der Bürger bzw. das Volk hat lediglich auf Grundlage des Artikel 29 Abs. 4 bis 6 des Grundgesetzes das Recht über eine Gesetzesinitiative, die Gebietsneugliederung, also die Gründung eines neuen Bundeslandes, zu beantragen. Andere Rechte der Einbringung von Gesetzesvorschlägen des Volkes sind in Verbindung mit Artikel 76 Abs. 1 des Grundgesetzes in Deutschland ausgeschlossen.
Dieser Sachstand entspricht leider nicht mehr dem aktuellen Zeitgefüge, wie augenscheinlich auch von Ihnen festgestellt.
Festzuhalten bleibt, dass eine Modifizierung des Gesetzesinitiativrechtes auf Bundesebene einer Bürgergruppen wie unserer, etwaig die Möglichkeit einräumen würde, einen Gesetzentwurf in Verbindung mit einem gesetzabschaffenden Referendum in den Bundestag zur Debatte einzubringen, was zweifelsfrei zu begrüßen wäre. Ob aber eine Verbesserung des Initiativrechtes die Politik- und Wahlverdrossenheit in unserem Land und die damit verbundenen Gefahren für das demokratische Gesamtgefüge beseitigt, darf ernsthaft bezweifelt werden.
Die von Ihnen als Problem mit unserem Vorschlag gesehene Komplexität von Gesetzen und die unter beispielhaften Bezug auf das EEG definierte Benachteiligung von Minderheiten, kann durch eingeräumte zeitlich befristete Korrekturmöglichkeiten des abzuschaffenden Gesetzes und ein integriertes mehrheitliches Abhilfebegehren ausgegrenzt werden. Wir hatten allerdings in unterschiedlichen Korrespondenzen mit Ihren Kollegen schon dargelegt, dass wir eine tatsächlich stattfindende Abschaffung eines Gesetzes durch ein Referendum ohnehin nicht sehen.
In diesem Zusammenhang erlauben wir uns Ihnen abschließend auszugsweise aus der gutachterlichen Stellungnahme des Herrn Prof. Dr. Patzelt vom 24.06.2015, welche dieser in der öffentlichen Anhörung des Verfassungs- und Rechtsausschusses des Sächsischen Landtages in Verbindung mit dem durch LINKE und GRÜNE eingebrachten Gesetzentwurf „Gesetz zur Stärkung der direkten Demokratie im Freistaat Sachsen“ abgegeben hat, zu zitieren.
Herr Prof. Dr. Patzelt ist, wie wir in unserer Bürgeranfrage aufgeführt haben, der wissenschaftliche Verfechter eines gesetzabschaffenden Referendums und sagte vor dem Ausschuss:
[…] Einführung des gesetzesaufhebenden Referendums.
a) Es ist entspricht nicht nur dem Rang des Volkes als gleichberechtigtem Gesetzgeber, sondern ist auch um der Demokratie willen wünschenswert, ein gesetzesaufhebendes Referendum einzuführen.
- Erstens erschwert das gesetzesaufhebende Referendum sogar einer im Parlament übermächtigen Regierungsmehrheit das „Durchregieren“ gegen Wünsche des Volkes, die sich in einer Abstimmungsmehrheit ausdrücken. Das minderte in demokratieförderlicher Weise jene „Arroganz der Macht“, die sich immer wieder – vor allem: nach Regierungswechseln – einzustellen pflegt.
- Zweitens zwingt die Möglichkeit eines gesetzesaufhebenden Referendums die Opposition politisch immer wieder zum Nachweis von Behauptungen dahingehend, die Regierungsmehrheit stelle sich mit einem bestimmten Gesetzgebungsvorhaben in einen Gegensatz zur Bevölkerung. Das erlegt auch der Opposition einen gewissen Realitätsdruck auf, weil auch sie damit rechnen muss, sich bei einem gesetzesaufhebenden Referendum nicht durchsetzen zu können.
- Drittens eröffnet das gesetzesaufhebende Referendum einen weiteren Weg, einen im Parlament verlorenen politischen Konflikt neu auszufechten.
Bislang ist die Opposition darauf angewiesen, politisch Abgelehntes zum verfassungsrechtlichen Streitgegenstand zu machen. Wer aber ein Gesetz vor das Verfassungsgericht bringt, erntet Verfassungsrechtsprechung, die im Lauf der Zeit die parlamentarischen Gestaltungsspielräume immer mehr einengt. Ferner wirken abstrakte Normenkontrollverfahren auf viele Bürger so, als wolle ein Teil der politischen Klasse sehenden Auges die Verfassung brechen. Beides tut repräsentativer Demokratie nicht gut.
Das gesetzesaufhebende Referendum hingegen brächte – um den Preis eines einzugehenden politischen Risikos – einen im Parlament verlorenen politischen Konflikt vor das Volk als alternativen Gesetzgeber. Das entspräche voll dem Grundsatz der repräsentativen Demokratie, wonach das Parlament das erste Wort haben muss, das Volk aber das Recht auf das letzte Wort hat.
b) Nicht der Stärkung direkter Demokratie dient es allerdings, wenn ein gesetzesaufhebendes Referendum nicht vom Volk selbst herbeigeführt werden kann.
- Auf diese Weise wird das Volk – obschon doch gleichberechtigter Gesetzgeber – einfach zum „Mündel des Parlaments“ gemacht. Es darf laut vorliegendem Gesetzentwurf durch einen Volksantrag nur darum bitten, das Parlament möge über die Änderung oder Aufhebung eines Gesetzes debattieren, hat aber keine Möglichkeit, die Entscheidung über das Inkrafttreten eines Gesetzes selbst herbeizuführen.
- Ferner wird gerade der zentrale Vorteil direktdemokratischer Instrumente nicht erreicht, wenn es Abgeordneten anvertraut ist, ein gesetzesaufhebendes Referendum herbeizuführen. Der Demokratie willen herbeizuführen ist nämlich solche politische Kommunikation, die sich in der Zivilgesellschaft im Streit um eine reale Entscheidungsfrage entwickelt. Genau zu diesem Zweck müssen direktdemokratische Instrumente so ausgestaltet sein, dass die Diskussion um ihre Nutzung in erster Linie im Volk geführt wird – und nicht vor allem in den Reihen der politischen Klasse.
- Genau letzteres wäre aber der Fall, wenn die vergleichsweise wenigen Abgeordneten von ein, zwei (Oppositions-) Fraktionen untereinander zur Vereinbarung kämen, es solle ein gesetzesaufhebendes Referendum durchgeführt werden. Deshalb ist eine solche Herbeiführung des gesetzesaufhebenden Referendums abzulehnen.
c) Besser wäre eine Regelung der folgenden Art:
- Ein gesetzesaufhebendes Referendum kann nie vom Parlament, sondern nur vom Volk herbeigeführt werden, und zwar durch Volksantrag auf Durchführung eines gesetzesaufhebenden Referendums. Das erweiterte im Grunde nur die im Gesetzentwurf ohnehin vorgesehenen Inhalte von Volksanträgen.
- Für diesen Volksantrag wäre ein Prozentsatz der Abstimmungsberechtigten zwischen einem Prozent (wie für den normalen Volksantrag vorgesehen) und fünf Prozent (wie für einen Volksentscheid im Volkgesetzgebungsverfahren verlangt) festzulegen
- Dieser Prozentsatz sollte so angesetzt werden, dass zwar gesetzesaufhebende Volksabstimmungen praktisch herbeiführbar sind, diese Hürde aber einen inflationären und die Gesetzgebungstätigkeit lähmenden Gebrauch dieses direktdemokratischen Instruments ausschlösse.
- Es ist erforderlich, in der Verfassung eine Frist für die Sammlung der erforderlichen Unterschriften festzulegen. Es böten sich 100 Tage an […]
Da unsere Bürgerinitiative vorerst einen grundsätzlichen Dialog mit den Bundestagsabgeordneten sucht und bestrebt ist, bisherig eingenommen Positionen einer Überdenkung zuzuführen, bitten wir Sie, sich die Zeit zur nochmaligen Überarbeitung unseres Grundanliegens zu nehmen.
Ihr Fraktionskollege Arnold Vaatz, MdB hat den Vorschlag unserer Initiative aufgenommen und sich bereit erklärt, nach notwendiger Zuarbeit, welche wir hoffen bis 20.07.2015 liefern zu können, dass aufgeworfenen Thema Fraktionsintern einer Diskussion zuzuführen.
Wir würden uns freuen, wenn Sie sich in Folge entsprechend in diese Thematik einbringen können.
Vorerst verbleiben wir in positiver Erwartung
Mit freundlichen Grüßen
Reiko Beil
Initiative Dialog-2015

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Quelle: dialog-2015 vom 29.06.2015