
Gesetzesabschaffendes Referendum
Abgeordnetenanfrage – persönlicher Brief
Sehr geehrter Herr Beil,
Ihr Schreiben vom 22. Juni habe ic dankend erhalten.
Da Sie sich an viele, wenn nicht alle, Mitglieder meiner Fraktion gleichlautend gewandt haben, […]
[…] möchte ich auf das Antwortschreiben meines Fraktionskollegen Dr. Lars Castellucci vom 17. Juni 2015 an Sie verweisen (s. Anlage).
Ich stimme mit seiner Position vollkommen überein und schließe mich seiner Argumentation voll an.
Mit freundlichen Grüßen
Waltraud Wolff, MdB

dialog-2015 an Waltraud Wolff (MdB/SPD) – Gesetzesabschaffendes Referendum
Sehr geehrte Frau Barnett,
vielen Dank für Ihre Rückantwort.
Da Sie sich der Meinung Ihres Kollegen Dr. Castellucci, MdB anschließen bleibt festzuhalten, dass wir es begrüßen wenn sich die SPD seit vielen Jahren für mehr plebiszitäre Elemente in unserer Demokratie, also eine stärkere bürgerliche Einbindung in die für unser Land wichtige repräsentative Demokratie, einsetzt.
Sehr erfreut sind wir, dass unser Vorschlag des gesetzabschaffenden Referendums eine Tangierung findet, indem Sie sich der Ansicht Ihres Fraktionskollegen anschließen, welcher es als grundsätzlich möglich ansieht, dass sich ein direktdemokratisches Verfahren in seiner Wirkung auch auf schon bestehende Gesetze beziehen kann.
Allerdings bleibt die schon an Ihren Fraktionskollegen gerichtete Frage offen, warum seit der Einbringung des ersten Gesetzentwurfes der SPD für mehr plebiszitäre Elemente in unserer Demokratie im Jahr 1992, in den vorangegangenen 23 Jahren keine diesbezügliche Bewegung wahrnehmbar ist? Aus welchem Grund es Ihre Partei mit einer Regierungsmehrheit im Jahr 2002 gemeinsam mit den Grünen nicht geschafft hat, dass repräsentative Demokratiegefüge in unserem Land einer direktdemokratischen Erweiterung zuzuführen, hat uns Ihr Fraktionskollege Lothar Binding, MdB dargelegt. Aber die Frage, warum im Jahr 2013 keine diesbezüglichen Klärungsansätze in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurden, ist aktuell unbeantwortet.
Entsprechend verbleiben in der Aussage Ihres Kollegen Dr. Castellucci, MdB Widersprüche, welche die leise Vermutung eines plakativen Agierens hervorbringen.
Die SPD als Volkspartei wäre doch sicherlich in der Lage gewesen, die Thematik direktdemokratischer Elemente auf Bundesebene trotz damaliger Ablehnung der CDU als Klärungspunkt im Jahr 2013 in den Koalitionsvertrag mit aufzunehmen. Dass dies nicht geschehen ist verwundert.
Da wir aus Ihren Ausführungen nicht entnehmen können, ob Sie sich auch dem persönlichen Meinungsgefüge Ihres Kollegen, in Richtung unserer Initiative anschließen, indem dieser darlegt, dass es ist immer leichter ist, gegen etwas zu mobilisieren, als Mehrheiten für eine positive Vereinbarung zu überzeugen, möchten wir auch auf diesen Themenpunkt eingehen.
Wir mobilisieren nicht gegen etwas, sondern wir versuchen, Mehrheiten für eine positive Vereinbarung zu überzeugen und wir setzten auf Kompromisse.
Der Ansatz des Vorschlages für ein gesetzabschaffenden Referendums liegt darin begründet, dass Politik dem Bürger nicht mehr verständlich erklärt wird. Wegen der fehlenden Erklärungen, warum politische Entscheidungen getroffen werden, welche Vor- oder Nachteile sich daraus ergeben können und in welche Richtung sich unser Land bewegt, resigniert ein Großteil der Bevölkerung mit dem Argument, „…Die da oben machen doch ohnehin, was sie wollen, und wir hier unten können daran sowieso nichts ändern…“.
Die Politiker wiederum zeigen sich über ein derartiges Bürgerverhalten verwundert, verärgert und oft auch beleidigt, da diese der Meinung sind, tagtäglich alles zum Wohl des Volkes zu tun.
Letztgenanntes ist gefühlt auch zutreffend, aber eine Abgeordneteninternetseite, diverse monatliche Bürgersprechstunden und vereinzelte öffentliche Auftritte reichen nicht aus, um dem Volk Politik und deren Ziele erklärbar zu machen.
Die Abgeordneten des Bundestages werden an dieser Stelle natürlich auch allein gelassen, da unsere Medien hier zwischenzeitlich kollektiv versagen. Vor allem der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten, in diesem Zusammenhang entsprechend zu agieren, wird leider nicht erfüllt. Die Lücke oder besser definiert der Graben zwischen Volk und Politik ist zwischenzeitlich so groß, dass Journalisten und Medien auch gar nicht mehr in der Lage sind, diesen zu schließen.
Politik vermittelt spätestens seit Beginn der Finanz- und Weltwirtschaftskrise im Jahr 2008 den Eindruck einer Hetzjagd und einer Hochhausbaustelle, deren Architekten und Statiker das Handtuch geworfen haben, aber trotzdem mit Hochdruck weiter Etage auf Etage gebaut wird, in der Hoffnung, das Bauwerk kippt nicht um. Dieser Eindruck führt zusammen mit einem gewaltigen Informationsdefizit zu dieser für Politiker nicht begreifbaren Unzufriedenheit der Bürger, welche ersatzweise auch Politikverdrossenheit genannt wird.
Fragt man die Bürgerinnen und Bürger, warum sie unzufrieden sind, bekommt man allerdings in den wenigsten Fällen eine Antwort. Oftmals sind es kleinkarierte Probleme, die eigentlich nichts mit der großen Politik zu tun haben, oder Scheinprobleme, die vom Hören und Sagen anderer herrühren. Aber, was fast jeder aus dem bürgerlichen Lager bestätigt, die Angst vor der Zukunft ist allgegenwärtig. Angst davor, dass unsere politischen Akteure Fehler machen und Politik nur noch für einige wenige gemacht wird und am Volk vorbei läuft.
Ja und dort liegt das eigentliche Problem. Diese Angst basiert darauf, dass dem Volk nichts mehr erklärt wird. Der Souverän hat seit Jahren das Gefühl, stetig vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden.
Unsere repräsentative Demokratie ist an dieser Stelle ernsthaft gefährdet und die Politik ist gefordert, hier dringend gegenzusteuern.
Die demokratischen Werte in diesem unserem Land sind gefährdet und können nur erhalten werden, wenn man die Bürgerinnen und Bürger politisch direktdemokratisch einbindet.
Eine Einbindung nach dem Schweizer Vorbild, darüber besteht Einigkeit, ist nicht umsetzbar. Fest steht auch, dass wie bereits erwähnt, die Strukturen der repräsentativen Demokratie, welche unserem Land in den letzten 60 Jahren zu Wohlstand und dauerhaften Frieden verholfen hat, alternativlos sind und hier entsprechend auch keine Veränderungen, sondern lediglich Anpassungen, durchgeführt werden müssen.
Was dringend angepasst werden muss, ist erstens der wechselseitige (!) Informationsfluss zwischen Volk und Politik.
Zweitens muss auf Grund der Tatsache, dass es immer mehr Berufspolitiker mit fehlenden alltagsberuflichen und basisorientierten Erfahrungen im Parlament gibt, politische Entscheidungen aber immer kompakter und unkalkulierbarer werden, zusätzlich ein „Sicherungsventil“ in die Gesetz Mechanismen eingebaut werden, welches eine Korrektur etwaiger Fehlentscheidungen ohne parteipolitisches und parlamentarisches Planspiel zulässt.
Beide Positionen würde ein gesetzabschaffendes Referendum ohne Probleme in sich vereinen.
Versteht das Volk bestimmte Entscheidungen nicht, kommt es zum Begehren. Das Begehren ist dann ein Alarmzeichen an die Politik, in Sachen Erklärungsnotstand oder Nachbesserungsbedarf dringend zu handeln. Versagt die Politik an dieser Stelle oder wurde, was eher die Ausnahme (!) sein wird, tatsächlich ein Gesetz oder Rechtsgut verabschiedet, welches dem Volk so stark schadet, dass eine Begehren das hohe Quorum erfüllt, muss die Konsequenz eines Referendums in Kauf genommen werden.
Da vor einem derartigen Referendum, wie bereits aufgeführt, aber immer ein Volksbegehren mit einer entsprechend langen Vorlaufzeit und einem hohen Quorum steht, verschafft die Dauer des Begehrens den politisch Handelnden ein absichtlich gewolltes Zeitfenster. Diese Zeit muss durch die Politikerinnen und Politiker unseres Landes für den Fall eines Begehrens, bei welchem sich tatsächlich das Zustandekommen eines Referendums abzeichnet, unter anderem dafür genutzt werden, den Souverän grundsätzlich über die etwaige Folgen einer etwaigen Gesetzabschaffung aufzuklären.
Die Politik kann so versuchen, Informationslücken, welche möglicherweise zu einem fehlenden oder gar falschen Verständnis der politischen Entscheidungen und somit zu einem Begehren geführt haben, gegenüber dem Souverän zu schließen, oder mit einem modifizierten Handeln den Versuch unternehmen, dem Willen des Volkes entgegenzuwirken, um das Erreichen des Quorums und folglich das Zustandekommen eines Referendums zu vermeiden.
Damit schließt sich automatisch auch der zwischenzeitliche überall feststellbare Graben zwischen Politik und Bürgern.
Wir hatten gegenüber Ihren Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Fraktionen bereits mehrfach dargelegt, dass es nach unserer Auffassung in den wenigsten Fällen tatsächlich zu einem gesetzabschaffenden Referendum kommen wird, da spätestens mit dem Aufleben eines Volksbegehrens, das ein gesetztes Quorum erreichen könnte, das politische Gegensteuern beginnt.
Beide Seiten, also Volk und Politik, würden sich durch die Erweiterung unserer repräsentativen Demokratie mit der Möglichkeit gesetzabschaffender Referenden wieder annähern und vor allem disziplinieren.
Am 24.06.2015 haben wir an einer öffentlichen Anhörung des Verfassungs- und Rechtsausschusses des Sächsischen Landtages in Verbindung mit dem durch LINKE und GRÜNE eingebrachten Gesetzentwurf „Gesetz zur Stärkung der direkten Demokratie im Freistaat Sachsen“ beigewohnt.
Abgesehen von der Tatsache, dass der eingebrachte Gesetzentwurf der vorgenannten Parteien die Rechte des Souveräns nicht stärkt sondern allenfalls dazu dient die Oppositionsarbeit im Landtag im Eigeninteresse zu fundieren, hat man mehrere Sachverständige unter anderem auch Herrn Prof. Dr. Patzelt angehört.
Herr Prof. Dr. Patzelt ist, wie wir in unserer Bürgeranfrage aufgeführt haben, der wissenschaftliche Verfechter eines gesetzabschaffenden Referendums. Mit seiner ausdrücklichen Erlaubnis geben wir nachfolgend einen Ausschnitt seiner gutachterlichen Ausführungen vor dem Landtagsausschuss am 24.06.2015 wieder.
Herr Prof. Dr. Patzelt führte unter anderem in seiner Stellungnahme zum eingebrachten Gesetzentwurf auf:
[…] Einführung des gesetzesaufhebenden Referendums.
a) Es ist entspricht nicht nur dem Rang des Volkes als gleichberechtigtem Gesetzgeber, sondern ist auch um der Demokratie willen wünschenswert, ein gesetzesaufhebendes Referendum einzuführen.
- Erstens erschwert das gesetzesaufhebende Referendum sogar einer im Parlament übermächtigen Regierungsmehrheit das „Durchregieren“ gegen Wünsche des Volkes, die sich in einer Abstimmungsmehrheit ausdrücken. Das minderte in demokratieförderlicher Weise jene „Arroganz der Macht“, die sich immer wieder – vor allem: nach Regierungswechseln – einzustellen pflegt.
- Zweitens zwingt die Möglichkeit eines gesetzesaufhebenden Referendums die Opposition politisch immer wieder zum Nachweis von Behauptungen dahingehend, die Regierungsmehrheit stelle sich mit einem bestimmten Gesetzgebungsvorhaben in einen Gegensatz zur Bevölkerung. Das erlegt auch der Opposition einen gewissen Realitätsdruck auf, weil auch sie damit rechnen muss, sich bei einem gesetzesaufhebenden Referendum nicht durchsetzen zu können.
- Drittens eröffnet das gesetzesaufhebende Referendum einen weiteren Weg, einen im Parlament verlorenen politischen Konflikt neu auszufechten.
Bislang ist die Opposition darauf angewiesen, politisch Abgelehntes zum verfassungsrechtlichen Streitgegenstand zu machen. Wer aber ein Gesetz vor das Verfassungsgericht bringt, erntet Verfassungsrechtsprechung, die im Lauf der Zeit die parlamentarischen Gestaltungsspielräume immer mehr einengt. Ferner wirken abstrakte Normenkontrollverfahren auf viele Bürger so, als wolle ein Teil der politischen Klasse sehenden Auges die Verfassung brechen. Beides tut repräsentativer Demokratie nicht gut.
Das gesetzesaufhebende Referendum hingegen brächte – um den Preis eines einzugehenden politischen Risikos – einen im Parlament verlorenen politischen Konflikt vor das Volk als alternativen Gesetzgeber. Das entspräche voll dem Grundsatz der repräsentativen Demokratie, wonach das Parlament das erste Wort haben muss, das Volk aber das Recht auf das letzte Wort hat.
b) Nicht der Stärkung direkter Demokratie dient es allerdings, wenn ein gesetzesaufhebendes Referendum nicht vom Volk selbst herbeigeführt werden kann.
- Auf diese Weise wird das Volk – obschon doch gleichberechtigter Gesetzgeber – einfach zum „Mündel des Parlaments“ gemacht. Es darf laut vorliegendem Gesetzentwurf durch einen Volksantrag nur darum bitten, das Parlament möge über die Änderung oder Aufhebung eines Gesetzes debattieren, hat aber keine Möglichkeit, die Entscheidung über das Inkrafttreten eines Gesetzes selbst herbeizuführen.
- Ferner wird gerade der zentrale Vorteil direktdemokratischer Instrumente nicht erreicht, wenn es Abgeordneten anvertraut ist, ein gesetzesaufhebendes Referendum herbeizuführen. Der Demokratie willen herbeizuführen ist nämlich solche politische Kommunikation, die sich in der Zivilgesellschaft im Streit um eine reale Entscheidungsfrage entwickelt. Genau zu diesem Zweck müssen direktdemokratische Instrumente so ausgestaltet sein, dass die Diskussion um ihre Nutzung in erster Linie im Volk geführt wird – und nicht vor allem in den Reihen der politischen Klasse.
- Genau letzteres wäre aber der Fall, wenn die vergleichsweise wenigen Abgeordneten von ein, zwei (Oppositions-) Fraktionen untereinander zur Vereinbarung kämen, es solle ein gesetzesaufhebendes Referendum durchgeführt werden. Deshalb ist eine solche Herbeiführung des gesetzesaufhebenden Referendums abzulehnen.
c) Besser wäre eine Regelung der folgenden Art:
- Ein gesetzesaufhebendes Referendum kann nie vom Parlament, sondern nur vom Volk herbeigeführt werden, und zwar durch Volksantrag auf Durchführung eines gesetzesaufhebenden Referendums. Das erweiterte im Grunde nur die im Gesetzentwurf ohnehin vorgesehenen Inhalte von Volksanträgen.
- Für diesen Volksantrag wäre ein Prozentsatz der Abstimmungsberechtigten zwischen einem Prozent (wie für den normalen Volksantrag vorgesehen) und fünf Prozent (wie für einen Volksentscheid im Volkgesetzgebungsverfahren verlangt) festzulegen
- Dieser Prozentsatz sollte so angesetzt werden, dass zwar gesetzesaufhebende Volksabstimmungen praktisch herbeiführbar sind, diese Hürde aber einen inflationären und die Gesetzgebungstätigkeit lähmenden Gebrauch dieses direktdemokratischen Instruments ausschlösse.
- Es ist erforderlich, in der Verfassung eine Frist für die Sammlung der erforderlichen Unterschriften festzulegen. Es böten sich 100 Tage an […]
Vielleicht können Sie die Ansichten des Professors und das darauf begründete Agieren unserer Initiative in die AG Demokratie einbringen und diskutieren.
Wir werden in Folge bestimmt noch einmal auf Sie zukommen und verbleiben vorerst
Mit freundlichen Grüßen
Reiko Beil
Initiative Dialog-2015

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Quelle: dialog-2015 vom 29.06.2015