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Antwort Wolfgang Gehrcke (MdB/DIE LINKE) - Gesetzesabschaffendes Referendum
Antwort Wolfgang Gehrcke (MdB/DIE LINKE) – Gesetzesabschaffendes Referendum – Foto: © DIE LINKE im Bundestag

Gesetzesabschaffendes Referendum

Abgeordnetenanfrage – persönlicher Brief

Sehr geehrter Herr Beil,

haben Sie vielen Dank für Ihren sehr ausführlichen Brief. Ich werde mich bemühen, ihn, wie gewünscht, kurz und bündig unter Verzicht „auf verallgemeinernde oder ausweichende Darlegungen“ zu beantworten. […]

[…] Ihr Engagement für mehr direkte Demokratie freut mich. Dass Sie, wie Sie schreiben, infolge der Bedenken von Bundesinnenminister de Maizière die Forderung nach Volksabstimmungen aufgegeben haben, bedauere ich. Dass über komplexe Sachentscheidungen nicht mit Ja oder Nein abgestimmt werden könne, sehe ich nicht.
[…]
Ich trete im Gegenteil dafür ein, direkte Demokratie umfassend durchzusetzen.
[…]

Mit freundlichen Grüßen

Wolfgang Gehrcke

Antwort Wolfgang Gehrcke (MdB/DIE LINKE) - Gesetzesabschaffendes Referendum
Antwort Wolfgang Gehrcke (MdB/DIE LINKE) – Gesetzesabschaffendes Referendum

dialog-2015 an Wolfgang Gehrcke (MdB/DIE LINKE) – Gesetzesabschaffendes Referendum

Sehr geehrter Herr Gehrcke,

besten Dank für Ihre Rückantwort auf unsere Bürgeranfrage.

Wir erlauben uns, Ihre Ausführungen dahingehend zu berichtigen, dass unsere Initiative die Forderung nach Volksabstimmungen keinesfalls aufgegeben hat.
Im Gegenteil, wir kämpfen mit all den uns zur Verfügung stehenden Mitteln darum, hier ein Umdenken bei den politischen Eliten zu erreichen, welche bisherig keine Notwendigkeit darin sehen, dass derzeitige Demokratiegefüge in unserem Land dem veränderten Zeitgeschehen anzupassen.
Allerdings befinden auch wir uns als normale Bürger, in einem Lernprozess zum Thema gelebte Demokratie. So einfach, wie wir uns es noch vor Monaten vorgestellt haben, die Mitbestimmung des Volkes auf Bundesebene durchzusetzen, ist es allerdings nicht.
Wir haben nicht nur in unserer Gruppe feststellen müssen, wie schwer es ist, Demokratie bei einer Zusammenfindung unterschiedlichster Meinungsbilder tatsächlich zu leben, sondern haben dies auch auf Landes- und Bundesebene in Verbindung mit den unterschiedlichsten politischen Ausrichtungen in Erfahrung gebracht.
Unsere Initiative ist daraufhin zu der Erkenntnis gekommen, dass Volksentscheide auf Bundesebene, welche unter Beachtung des Wirkens der in Deutschland politisch gelebten repräsentativer Demokratieformen in die Verabschiedung von Gesetzen und Verordnungen eingreifen würden, für das Wohl und die Zukunft der Bürgerinnen und Bürger eher behindernd als fördernd sein kann.
Auch wir als Volk sind gleich den Politikern nicht in der Lage, in die Glaskugel zu schauen, um entscheiden zu können, ob ein heute zur Verabschiedung anstehendes Gesetz, für das was es bezwecken und erreichen soll, morgen gut oder schlecht sein wird.
In diesem Zusammenhang sollte man sich weiter auf die Strukturen unserer repräsentativen Demokratie verlassen. Diesbezüglich haben wir den Ausführungen des Bundesinnenministers auch in Zusammenhang mit der Polemik des einfachen JA oder NEIN letztendlich zugestimmt.
Ihren Ausführungen, dass Entscheidungsbefugnisse an die Wählerinnen und Wähler in der Form von Referenden zurückgegeben werden sollen, bei welchen das Volk direkt in den Beschluss oder die Verabschiedung von Gesetzen und Rechtsgütern eingreifen darf, können wir nach unseren gesammelten Erfahrungen, auch wenn diese noch sehr jungfräulich sind, nicht zustimmen.
Aber und das ist der springende Punkt, unsere gelebte repräsentative Demokratie muss zur Vermeidung eines sich abzeichnenden Scheiterns, dringend ergänzt und erweitert werden, da eben nicht nur wir als das Volk keine Gabe besitzen, durch die Glaskugel zu schauen, sondern eben leider auch unseren Politikern dieser Blick verwehrt bleibt.
Es geht darum, die repräsentative Demokratie mit einem „Sicherungsventil“ zu ergänzen, um im Fall der Fälle, eine heute getroffene politische Entscheidung, welche sich morgen als Fehler entpuppt, dass Volk mehr belastet als entlastet oder gar unser Leben und unsere Zukunft gefährdet, ohne parteipolitisches Gezeter, politische Befindlichkeiten oder machtorientierte Taktikspiele, als Souverän direkt berichtigen zu können.
Aus diesem Grund haben wir vorgeschlagen, unsere repräsentative Demokratie durch das Modul eines gesetzabschaffenden Referendums zu erweitern.
Vor einem derartigen gesetzabschaffenden Referendum muss immer ein Volksbegehren mit einer entsprechend langen Vorlaufzeit stehen. Dieses Volksbegehren mit einem hohen Quorum verschafft den politisch Handelnden einen gewollten Handlungsspielraum.
Die Politik kann während der Zeit des Begehrens „beobachten“, ob dieses auf Grundlage der hoch gestellten Hürde des Quorums, wir sprachen hier von 2,5% der wahlberechtigen Bevölkerung, überhaupt Aussicht auf Erfolg hat.
Zeichnet sich für die politischen Akteure ab, dass sich der Souverän tatsächlich aufbäumt und vom Sessel erhebt, um einem auf den Weg gebrachten Begehren seine Zustimmung zu geben, verbleibt ausreichend Zeit zu handeln.
Die Politik kann dann entweder versuchen, Informationslücken, welche etwaig zu einem fehlenden oder gar falschen Verständnis der politischen Entscheidung und somit zu einem Begehren geführt haben, gegenüber dem Souverän zu schließen oder mit einem modifizierten Handeln den Versuch unternehmen, dem Willen des Volkes entgegenzuwirken, um das Erreichen des Quorums und folglich das Zustandekommen eines Referendums zu vermeiden.
Damit schließt sich automatisch auch der zwischenzeitliche überall feststellbare Graben zwischen Politik und Bürger.
Wir gehen davon aus, dass es in den wenigsten Fällen tatsächlich zu einem gesetzabschaffenden Referendum kommen wird, da spätestens mit dem Aufleben eines Volksbegehrens, was ein gesetztes Quorum erreichen könnte, dass politische Gegensteuern beginnt.
Beide Seiten, also Volk und Politik, würden sich durch die Erweiterung unserer repräsentativen Demokratie mit der Möglichkeit gesetzabschaffender Referenden wieder annähern und vor allem disziplinieren.
Die eine Seite durch mehr gezeigte Volksnähe und die andere Seite durch mehr politisches Verstehen.
Das Thema Populismus, da geben wir Ihnen unumwunden recht, ist nicht nur eine implizite politische Unterstellung, sondern wir bezeichnen diese Aussagen als „Alibiangst“ einiger Ihrer Bundestagskolleginnen und Kollegen.
Wir leben nicht mehr in den 20iger und 30iger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Unser Leben spielt sich unter deutlich anderen Lebensumständen als zu Zeiten der Weimarer Republik ab. Nichts gegen den Intellekt unserer Groß- und Urgroßeltern, aber es sind über 80 Jahre vergangen und unser Zeitgeist hat sich augenscheinlich doch etwas weiterentwickelt.
Darstellungen eines aufblühenden Populismus im Zusammenhang mit Volksentscheiden, vor allem unter Verweis auf Ausschnitte unserer Geschichte, wie es von manchen Ihrer Kollegen mit Fingerzeig auf die Weimarer Republik gern zelebriert wird, sind entsprechend kein Argument.
Glaubt ein Teil dieser Abgeordneten denn wirklich, die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes gehen plumpen Populisten so auf den Leim, dass diese in Folge die hohe Hürde eines Quorums für ein Begehren erfüllen und mit einem zustimmenden Referendum zum Erfolg kommen?
Das ist völliger Unsinn, entsprechend sind wir hier ganz bei Ihnen.
Außerdem bietet Populismus, insofern es sich tatsächlich um einen solchen handelt, die ideale Plattform, um politisch korrekt, sachlich orientiert und ursachenreduzierend gegensteuern zu können.
Derzeit überlassen die politischen Entscheidungsträger, wenn sie sich weiterhin vehement gegen die modulare Erweiterung unserer repräsentativen Demokratie stemmen, Populisten und anderen „Spaßvögeln“ jedoch tatsächlich das Spielfeld und verlieren die Nähe zum Volk und zum Wähler zusehends.
Wenn es ein Volksbegehren tatsächlich bis zu einem gesetzabschaffenden Referendum schaffen sollte und unsere politische Elite es nicht zustande bringt, dem Volk die Notwendigkeit eines Gesetzes oder eines Rechtsgutes so zu erklären, dass ein gesetzabschaffendes Referendum verhindert werden kann, dann reicht auch ein einfaches JA oder NEIN zur Entscheidung aus.
Die Komplexität des Gesetzes ist spätestens an dieser Stelle zweitrangig, und außerdem ist zu beachten, dass ein Gesetz, welches dem Volk in seiner Auswirkung und seinen Folgen nicht erklärbar ist, als solches erst gar nicht verabschiedet werden sollte.
An dieser Stelle sind wir dann wieder bei Ihnen.
Wir vergleichen das gesetzabschaffende Referendum gern mit einem virtuellen Folterinstrument für Politiker. Schon das Wissen, dass es dieses Foltergerät gibt, sollte jeden Abgeordneten zur vehementen parlamentarischen Disziplin und einem stetigen ausschließlichen handeln, im Interesse des Volkes, unserer Kinder und der Folgegenerationen mahnen.
Vielleicht animiert der Vorschlag unserer Initiative alle Fraktionen des Bundestages dazu, die etwaige Umsetzbarkeit eines gesetzabschaffenden Referendums als modulare Erweiterung der repräsentativen Demokratie zeitnah und über den parateilpolitischen Rahmen hinaus, innerhalb des Bundestages zu diskutieren.
In diesem Zusammenhang bleibt allerdings vorsorglich darauf hinzuweisen, dass nicht alle Gesetze und Rechtsgüter in ein gesetzabschaffendes Referendum integriert werden dürfen. Haushalts- und Abgabengesetze sowie das gern bei Skeptikern aufgegriffene Thema der Todesstrafe wären auszugrenzen. Die Grundrechte und der Schutz von Minderheiten bleiben selbstverständlich unantastbar.
Wir hoffen, dass in den kommenden Tagen weitere Antworten Ihrer Kolleginnen und Kollegen bei uns eingehen werden und den angestrebten Dialog weiter befeuern. Das Sammelsurium der bisherigen Antworten Ihrer Kolleginnen und Kollegen finden Sie auf unserer Internetseite.

Vorerst verbleiben wir

Mit freundlichen Grüßen

Reiko Beil
Initiative Dialog-2015

Antwort von dialog-2015 an Wolfgang Gehrcke (MdB/DIE LINKE) - Gesetzesabschaffendes Referendum
Antwort von dialog-2015 an Wolfgang Gehrcke (MdB/DIE LINKE) – Gesetzesabschaffendes Referendum

Wolfgang Gehrcke (MdB/DIE LINKE) an dialog-2015 – Gesetzesabschaffendes Referendum

Sehr geehrter Herr Beil,

haben Sie vielen Dank für Ihre sehr ausführliche Antwort auf meine Antwort. – Ich denke, was die Kontroverse Volksabstimmungen als Gesetzesinitiative versus Volksabstimmung zur Rücknahme von Gesetzten betrifft sind alle Argumente ausgetauscht. Ich bleibe bei meiner Auffassung, dass Politikerinnen und Politiker gut beraten sind, der Bevölkerung durch direkte Demokratie Entscheidungsbefugnisse zurückzugeben.
Mich besorgt sehr, dass der Einfluss der Großbanken, Konzerne und ihrer Verbände auf politische Entscheidungen immer mehr zugenommen hat und noch weiter zunimmt. Das geht so weit, dass Gesetzestexte von entsprechenden Kanzleien formuliert werden. Diese Entwicklung muss beendet werden, zum Beispiel durch das Verbot von Parteispenden von Wirtschaftsunternehmen und ein Verbot, dass Politiker in Wirtschaftsunternehmen oder –verbände wechseln, unmittelbar nachdem sie ihre politische Karriere beendet haben. Auch hier könnte direkte Demokratie dazu beitragen, den Einfluss der Banken und Konzerne auf politische Entscheidungen zurückzudrängen.

Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Gehrcke, MdB

Antwort Wolfgang Gehrcke (MdB/DIE LINKE) - Gesetzesabschaffendes Referendum
Antwort Wolfgang Gehrcke (MdB/DIE LINKE) – Gesetzesabschaffendes Referendum

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Quelle: dialog-2015 vom 01.07.2015


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